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Archiv-Artikel

Der Wochenendkrimi Kommissare im Zwangszölibat

„Tatort: Der Frauenflüsterer“, So., 20.15 Uhr, ARD

Für keinen anderen „Tatort“ stürzen sich die Verantwortlichen so genussvoll in anatomische Bizarrerien wie für die Krimikomödien aus Münster. Hier nun werden dem Reitlehrer Markus Hoffschulte (Kai Wiesinger) die Hoden seines Zuchthengstes als Geschenk verschnürt zugesandt. Die Kastration ist ein Stellvertreterakt mit durchschneidender Wirkung, denn der Stallmeister versteht es, sich Pferde und Frauen gleichermaßen gefügig zu machen. So einer hat Feinde, betrogene Ehemänner ebenso wie abgelegte Liebhaberinnen. Gerade hat sich ein Restaurantbesitzer aus dem Fenster gestürzt, dessen Frau von dem Erotomanen geschwängert worden war. So treffen Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf den Reitlehrer, dessen virile Strahlkraft die beiden Singles im Zwangs-Zölibat Wunder nehmen muss.

Wenn im WDR-„Tatort“ vor geputzter Domstadtkulisse verkohlte, abgerissene oder eben abgeschnittene Körperteile ausgebreitet werden, entspricht der Tonfall der Erzählung dem eines Pathologen, der mit heiter-possierlichem „So, so“ auf den Lippen entstellte Leichen beschnuppert. Das ist stets unterhaltsam. Doch lebt das Genre der schwarzen Komödie eben auch von seiner strengen immanenten Logik. Und da hapert es beim Münsteraner Täterrätsel manchmal – so wie jetzt beim „Frauenflüsterer“, wo Kaspar Heidelbach (Regie) sowie Jan Hinter und Stefan Cantz (Buch) keine dramaturgische Verbindlichkeit zwischen all den ausgestellten Absonderlichkeiten herzustellen vermögen.

Dass trotzdem keine Langeweile aufkommt, liegt an den Figuren. Am jovialen Streber Boerne, der hier am Anfang beflissen in Sportswear rumtigert, um seiner Nichte zu imponieren. Und an Thiel, der bei seinem Taxi fahrenden Hippievater unerlaubterweise Fahrunterricht nimmt und deshalb vor einem Streifenwagen in die Büsche Reißaus nehmen muss. Der ewig kiffende Erzeuger (Claus D. Clausnitzer) kann die Aufregung nicht verstehen. Schon deshalb ist der WDR-„Tatort“ über gelegentliche Stümpereien erhaben: Weil, wer will, in ihm auch die größte inoffizielle Legalisierungskampagne im deutschen Fernsehen sehen darf.

CHRISTIAN BUSS