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Archiv-Artikel

Der Wochenendkrimi

Morgen findet das TV-Duell zwischen Schröder und Merkel statt (ARD/ZDF/RTL/Sat.1, 20.30 Uhr). Aufwand und Aufregung sind groß, aber kann man inhaltlich überhaupt etwas davon erwarten?

pro

Wer trifft heute schon noch PolitikerInnen von Angesicht zu Angesicht? Nicht BezirksvertreterInnen oder ähnliche lokale Ränge, sondern PolitikerInnen von ganz oben? Es sind ein paar Auserwählte – aus den Medien, Lobbyisten, vielleicht noch ein paar Weggefährten. Dem Rest der Bevölkerung bleibt ganz überwiegend – das Fernsehen.

Und so macht eine Spielart namens TV-Duell hier auch Sinn. Natürlich tingeln wahlkämpfende PolitikerInnen noch über Land, mit dem grünen Joschka-Bus, Guidomobilen und anderen fahrbaren Untersätzen. Doch der Erkenntnisgewinn aus den mehrmals täglich auf den Marktplätzen der Republik abgespulten Standardansprachen bleibt beschränkt. Höchst beschränkt, Motto: Der ist ja viel kleiner als im Fernsehen. Zwar kann das Publikum mit den Rednern interagieren – in Form von Applaus, Pfiffen usw. Aber nachfragen geht nicht. Und da selten zwei konkurrierende PolitikerInnen zeitgleich denselben Marktplatz beehren, gibt es auch nicht die Form des direkten Schlagabtauschs.

Das TV-Duell liefert vom Prinzip her erst mal all dies: Die Gegner müssen aufeinander eingehen – sonst nimmt der Zuschauer übel. Sie können selbst nachhaken, oder die Moderation greift ein. Natürlich sind TV-Duelle Show. Das aber sind auch Regierungserklärungen, Bundestagsreden, Pressekonferenzen. Und Wahlkampf- oder Talkshowauftritte natürlich erst recht. Dabei kommt es weniger auf die Fakten sondern auf die Performance, auf das, was auch emotional rüberkommt. Gerade dies macht TV-Duelle interessant. Denn Politik hat – das kann man bedauern oder auch nicht – nicht mehr allzu viel mit Fakten zu tun. Dafür aber um so mehr damit, sich und seine Agenda durchzusetzen.

Und aus genau diesem Blickwinkel lassen sich aus einem TV-Duell jede Menge Schlüsse ziehen. Wer allerdings auf der Grundlage eines TV-Duells allein seine Wahlentscheidung trifft, handelt grob fahrlässig. Sicher ist dabei eins: Das TV-Duell am Sonntag wird schon jetzt in die Geschichte dieses in Deutschland noch jungen Fernsehformats eingehen. Das liegt dummerweise aber gar nicht an den Protagonisten Merkel und Schröder. Sondern an dem grandiosen Unsinn der Sender, wegen der von Angela Merkel durchgedrückten Beschränkung auf ein TV-Duell gleich mit vier ModeratorInnen anzutreten.

Wie zitierte doch gleich die Agentur ddp den amtierende ARD-Interviewkönig Frank Plasberg, der am Sonntag nicht mit von der Partie ist: „Wenn man eine gute Interviewstrategie haben will, kann man die nur im eigenen Kopf ausmachen. Schon zwei Interviewer sind keine Erleichterung für die Interviewer, sondern für den Gast, weil der die auseinander dividieren kann. Wenn Sie das jetzt mal vier nehmen, dazu noch die Regeln des Duells … also dann lieber der elfte bei den zehn Tenören sein.“

STEFFEN GRIMBERG

contra

Wahl-Check, Wahlarena, Wahlforum, Nachtduell, kleines Duell, großes Duell, Elefantenrunde, Fraktionsvorsitzendenrunde. Womit das Fernsehen in diesem kurzen Wahlkampf für Orientierung sorgen will, sorgt vor allem für Verwirrung. Wer wo auftritt und von wem wie ausgefragt wird, ist kaum mehr zu überblicken. Die fast schon banale Beschwerde, dass keine Inhalte verhandelt werden und alles nur inszeniert ist, sie scheint zuzutreffen – schließlich wurde über die erst abgesagte, dann doch angesetzte zweite TV-Begegnung von Gerhard Schröder mit Angela Merkel mehr geredet und geschrieben als über so ziemlich jedes andere Thema jenseits von Steuerpolitik. Vom morgigen TV-Duell ist deshalb genauso viel zu erwarten wie von einer „Wetten, dass …“-Sendung: mäßige Unterhaltung, aber eine Bombenquote.

Dass wir morgen und auch in den sonstigen Wahlsendungen keine inhaltlich erschöpfenden Diskussionen geboten bekommen, liegt aber nicht so sehr am aktuellen Wahlkampf als am Medium Fernsehen an sich. Das Fernsehen braucht Aufnahmen, die Konzepte in Bilder umsetzen, und Münder, die Inhalte in Statements übersetzen. Da sind Kandidaten-Duelle das einfachste und mittlerweile auch bewährteste Mittel – zumal bei diesem kurzen Wahlkampf den TV-Redaktionen auch kaum noch Zeit für aufwändige Dokumentationen und Reportagen bleibt.

Das ZDF hat es zwar mit seiner Doku-Serie „Wo steht Deutschland?“ versucht und in Michael-Moore-Manier Zeichentrick eingesetzt. Aber Krankenschwester-Karikaturen und animierte Rettungshubschrauber, wenn es um Kopfpauschale und Praxisgebühr geht, waren doch sehr gewöhnungsbedürftig. Nicht von ungefähr zeigt die ARD deshalb – wie vor wenigen Wochen bereits das ZDF mit „Sie oder Er im Kanzleramt“ – an den zwei folgenden Donnerstagen auch noch Porträts von Merkel und Schröder. Ob man da wohl etwas von Merkels Position zum EU-Beitritt der Türkei oder Schröders Chinapolitik erfährt? Egal, Hauptsache, die Porträts sind „sehr persönlich“. Parallel zum Merkel-Porträt „Die Kandidatin“ in der ARD läuft am kommenden Donnerstag übrigens im ZDF ein „Berlin Mitte spezial“. Thema: „Der Dreikampf der ‚Kleinen‘“ – mit Joschka Fischer, Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine.

Wo das Fernsehen die Personalisierungs- und Skandalisierungstendenzen neuerer Wahlkämpfe aufnimmt und potenziert, zeigt sich indes die Stärke der Zeitungen. Wie selten zu vor haben die es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Leserinnen und Lesern Orientierung in Sach- statt in Personalfragen zu bieten. In der Zeit werden etwa in der Serie „Was soll ich wählen?“ die Positionen der Parteien von Bildung bis Arbeitsmarkt tatsächlich erklärt – und nicht für das ohnehin informierte Fachpublikum analysiert. Gleiches in der Welt am Sonntag und Ähnliches im Stern. Der holte sich mit dem Fragebogen der Internetinitiative „Wahlomat“ gleich die ultimative Wahlhilfe ins Blatt.

Wer sich in diesem Wahlkampf also tiefgründig informieren will, hat dazu die Möglichkeit – er muss nur ergänzend zu Duellen und Dreikämpfen zur Zeitung greifen. Außer natürlich zum Spiegel. Der hat mit seinem Print-Duell gezeigt, dass gedruckter Unsinn auch nicht besser ist als gesendeter. HANNAH PILARCZYK