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■ Der Westen muß als Signal an die Boom-Wirtschaften des Ostens mit dem ökologischen Umbau beginnenDie asiatische Herausforderung

Keine Region der Welt fordert gegenwärtig die westlichen Industrieländer so stark heraus wie die ost- und südostasiatischen Boomstaaten. Die Herausforderung ist wirtschaftlicher, politischer und ökologischer Art. Die wirtschaftliche Dimension ist weitgehend bekannt. Die asiatischen Tiger schlagen den Westen mit seinen eigenen Waffen, weil sie sich zunehmend als die erfolgreicheren Kapitalisten erweisen.

Doch auch politisch ist seit den 90er Jahren viel in Bewegung geraten. Asiatische Regierungen ergreifen zunehmend die Initiative. So basiert der seit gestern in Bangkok stattfindende Asem-Gipfel europäischer und asiatischer Staats- und Regierungschefs auf Überlegungen aus Singapur. Asem soll im Dreieck der regionalen Wirtschaftszentren (Nafta, Ostasien, EU) die vernachlässigte asiatisch-europäische Verbindung stärken. Neben den USA und Westeuropa als Sieger im Kalten Krieg werden sich mit Ost- und Südostasien weitere politische Machtzentren herausbilden.

Die Tiger setzen sich damit auf die politische Landkarte der neuen Weltordnung, sie denken nicht daran, am Katzentisch Platz zu nehmen. Manche Politiker wie Lee Kuan Yew aus Singapur oder Mahathir Mohamad aus Malaysia grenzen sich durch den Verweis auf „asiatische Werte“ bewußt vom Westen ab und verwahren sich gegen dessen Belehrungen. Im Gegenzug werfen sie dem Westen vor, bei Menschenrechten und Demokratie mit zweierlei Maß zu messen, wenn es dem eigenen Vorteil dient. Sie haben längst begriffen, daß westliche Politiker diese Fragen nur ansprechen, weil sie diesbezüglich unter innenpolitischem Druck stehen. Auch prangern sie gesellschaftliche Mißstände und den moralischen Verfall im Westen an.

Durch den Krieg in Bosnien, bei dem sich die Europäer als unfähig erwiesen haben, auf dem eigenen Kontinent massive Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, ist Europas Ansehen in Asien tief gesunken. Die antiwestliche Rhetorik stärkt das durch den Wirtschaftsboom gewachsene fernöstliche Selbstbewußtsein. Andererseits dienen „asiatische Werte“ aber auch als Vorwand, um gegen Oppositionelle vorzugehen und von eigenen internen Widersprüchen abzulenken.

Im Westen schwanken die Reaktionen auf die Entwicklungen in Asien zwischen Anbiederung, Abschottung und Hilflosigkeit. Zugleich ist hier der fernöstliche Boom ein willkommenes Argument für den Sozialabbau. Ansonsten wollen europäische Politiker vor allem ihrer Industrie Aufträge verschaffen.

So entstand ein bekanntes Spiel: Europas Politiker dürfen ihren asiatischen Partnern gegenüber politische Rechte ansprechen, worüber dann europäische Medien berichten. Die Asiaten lassen die Europäer ihr Gesicht wahren, bevor es geschäftlich zur Sache geht. Dabei sind Menschenrechte dann kein Thema mehr. Denn wer sie wirklich ernst nähme, würde dem indonesischen Militär keine Waffen verkaufen, nicht die chinesische Volksbefreiungsarmee hofieren und nicht soziale Rechte in Europa abbauen.

Wo es in den letzten Jahren wie in Südkorea, Taiwan, Thailand und den Philippinen Demokratisierungsprozesse gegeben hat, erfolgten sie nicht mit Hilfe westlicher Regierungen. Sie wurden vielmehr von der Bevölkerung erkämpft – gegen westliche Kumpanei mit den Herrschenden.

Die deutsche Linke hat die Entwicklungen in Ost- und Südostasien mit Argwohn und Staunen zur Kenntnis genommen, wenn nicht gar verschlafen. Erst langsam wird begriffen, daß der asiatische Wirtschaftsboom politische Veränderungen nach sich zieht. Kaum gesehen wird, daß der Aufschwung in Asien das westliche Konsum- und Wachstumsmodell radikal hinterfragt. Denn die eigentliche Herausforderung ist ökologischer Art.

Der banale Kern des von der Bundesregierung 1993 vorgelegten Asienkonzeptes lautet, die deutsche Wirtschaft in Asien zu stärken: Warum sollen nur japanische Konzerne den chinesischen Automarkt unter sich aufteilen und nicht auch VW oder Mercedes Benz? Einer identischen Richtung auf europäischer Ebene folgt die Asienstrategie der EU von 1994. Beide blenden den ökologischen Kollaps aus, der droht, wenn China und andere fernöstliche Boomstaaten einen ähnlichen Motorisierungs- und Industrialisierungsgrad erreichen wie Westeuropa. Schon heute ist in Peking die Luft so dreckig, daß es täglich wechselnde Fahrverbote für Autos mit geraden und ungeraden Nummern gibt.

Katalysatoren für chinesische Autos und effizienzsteigernde Techniken verhindern nicht, daß der Standort Erde durch das asiatische Wirtschaftswachstum schneller an seine natürlichen Grenzen stößt. Ein zukunftweisender Weg kann also nicht darin bestehen, möglichst viele Autos in China produzieren zu wollen. Schon heute ist China Nettoölimporteur. Wenn dort bald eine halbe Milliarden Autos fahren und in ähnlichem Maße Ressourcen verbraucht werden wie heute in den Industrieländern, steht die Erde vor dem Kollaps.

Die westlichen Industrieländer können Ost- und Südostasien nichts mehr vorschreiben noch der Region moralisch den hohen Umweltverbrauch verwehren, den sie sich selbst seit Jahren herrausnehmen. Ökologische und sozialverträgliche Alternativen müssen deshalb in den westlichen Industrieländern ansetzen. Daß auch in Asien kritische Kräfte danach suchen, erspart den westlichen Gesellschaften jedoch nicht, eigene Auswege zu finden.

Durch seinen Erfolg ist der fernöstliche Boom ein starkes Argument für einen ökologischen Umbau des westlichen Wirtschaftssystems und damit auch für eine ökologische Steuerreform. Schon heute könnte der Rest der Welt moralisch von den Industrieländern ein ökologisches Strukturanpassungsprogramm fordern. Malaysias Premier Mahathir zielt in diese Richtung, wenn er sagt: „Da [ökologisch] am meisten zählt, was die reichen Länder machen, ist unbedingt nötig, daß sie ihren Lebensstil ändern.“ Kritikern des Abholzens des malaysischen Regenwaldes entgegnet er, daß dort nur gemacht wird, was sich die Industrieländer auch herausgenommen hätten. Solche Argumente sind gegenüber der Umwelt zynisch, zeigen aber, daß das neue asiatische Selbstbewußtsein den Druck für einen ökologischen Umbau im Westen verstärkt. Der wiederum stärkte auch diejenigen in Asien, die dort für ökologische Reformen eintreten. Sven Hansen

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