■ Der Weltbevölkerungsbericht weist in die falsche Richtung: Migration ist vernünftig
Ganz im Einklang mit dem gegenwärtigen Trend zu Grenzschließung und Abschottung stellt die UNO- Bevölkerungsbehörde UNFPA dieses Jahr das Thema „Völkerwanderungen“ in den Mittelpunkt ihres jährlichen Weltbevölkerungsberichtes. Düstere Warnungen, die weltweiten Migrationsströme könnten sich zur „Menschheitskrise unseres Zeitalters“ auswachsen, bestimmen den Tenor des Werkes, das sich zum Ziel setzt, Wege aufzuzeigen, wie „eine wirkungsvolle Entwicklungspolitik... den Zwang zur Migration vermindert“. Denn, so die erstaunliche Erkenntnis: Migration ist zumeist „ein Symptom von Ungerechtigkeit und Unterentwicklung“; Migranten sind per Definition „die anfälligste soziale Gruppe im Gastland“, es geht ihnen weltweit schlecht.
Die Selbstverständlichkeit, mit der die UNO Migration als einzudämmendes Übel betrachtet, ist bestürzend. Natürlich ist Auswanderung eine Folge sozialer Destabilisierung, aber das macht sie nicht schlecht, sondern rational; sie ist die logische Wahl für Menschen, deren Lebensverhältnisse keine Perspektive mehr bieten. Sie schadet weder den Migranten noch deren Herkunftsländern. Wenn es die massive Auswanderung aus Europa nach Amerika im 19. Jahrhundert nie gegeben hätte – was wäre dann mit all den zusätzlichen Europäern geschehen? Die Leichenberge der Weltkriege wären eben um einiges größer ausgefallen. Und leiden die postsozialistischen Länder Osteuropas heute nicht darunter, daß der ökonomisch bedingte Auswanderungssog gen Westen vierzig Jahre lang unterbunden wurde? Ihr Neuanschluß an die Welt geht daher mit uneinholbarer Verspätung und dementsprechend unverrückbaren Abhängigkeiten vonstatten. Und natürlich müssen die wuchernden Metropolen der Dritten Welt ihren menschlichen Dampf in Richtung Norden ablassen können, sonst explodieren sie.
„Sowohl die interne wie die grenzüberschreitende Migration werden durch das Bevölkerungswachstum und das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern angetrieben“, schreibt die UNFPA. Ganz richtig. Migration dient dazu, zum Schrumpfen des Wohlstandsgefälles beizutragen, und ist daher zu begrüßen. Migration kann nur dann als Menschheitskrise mißverstanden werden, wenn die „Menschheit“ selektiv begriffen wird, wenn die Wahrnehmung sich auf die Interessen der Reichen im Weltmaßstab beschränkt. Wie laut Winston Churchill die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, von allen sonst existierenden abgesehen, so ist Migration die schlechteste Entwicklungspolitik – außer allen, die ansonsten praktiziert und vorgeschlagen werden. Dominic Johnson
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