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Archiv-Artikel

Der Weitermacher

Unabhängig bleiben, vorwärts gehen, Platten produzieren: Eine Begegnung mit Jack Endino, dem Vater des Grunge, in Seattle

VON THOMAS WINKLER

Fragt man Jack Endino, ob es ihm finanziell gut geht, ob er es als weltweit gefragter Produzent womöglich zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, dann blickt er auf von seinem Hühnchen in Erdnusssauce, grinst hervor unter einem wirren, aber schon etwas angegrauten Haarschopf und antwortet mit einer Gegenfrage: „Du hast doch mein Auto gesehen, oder?“ Tatsächlich: Der Buick, der eine gute Stunde zuvor an den Straßenrand in der 4th Avenue in Seattles Innenstadt gerollt war, war ein älteres Modell in einem eher schäbigen Zustand.

Das silberfarbene Gefährt wurde ihm von seinem verstorbenen Vater vererbt und stammt von 1994. Das wiederum ist seltsamerweise exakt das Jahr, in dem die Karriere von Jack Endino eigentlich zu ihrem Ende hätte kommen sollen. Im Jahre 1994, so formuliert er es, „verließ der Zirkus die Stadt“. Die Stadt ist Seattle, und der Zirkus waren die großen Unterhaltungskonzerne, die es schlussendlich aufgaben, die nächsten Nirvana ausgerechnet im Nordwesten der USA zu suchen. Endino hatte die ersten Platten des Trios produziert und auch ansonsten nahezu jede Note, die in die Geschichte der populären Musik unter dem Überbegriff „Grunge“ abgebucht sollte. Das hat ihm den Beinamen „Godfather of Grunge“ eingebracht. Heute geht es ihm wieder gut, Danke der Nachfrage.

Mittlerweile hat Endino, so schätzt er, fast 300 Platten in elf verschiedenen Ländern produziert. Den vergangenen Sommer verbrachte er in Brasilien, wo er für das neue Album der Titãs, die vom Status so etwas wie „die Rolling Stones, U 2 und R.E.M. Brasiliens“ sind, verantwortlich war. Kaum war er zurück in Seattle, wollte eine Schweizer Band produziert werden, und gerade eben ist „Permanent Fatal Error“ (Wondertaker/Triggerfish Music/Cargo) erschienen, sein erstes Soloalbum seit 13 Jahren. Auf dem erinnert er sich einerseits wehmütig an die goldenen Achtzigerjahre, indem er einen mittlerweile klassischen Postpunk-Rocksound reproduziert, wie er heute, im Zeitalter von digital unterstützten Gitarrengewittern, so nicht mehr hergestellt wird.

„Dies ist die beste Jack-Endino-Platte, zu der ich in der Lage war“, sagt er, und weil der bekennende „News-Junkie“ zudem ein politisch denkender Mensch ist, mag dieses Album trotz seines womöglich antiquiert wirkenden Sounds aktueller und relevanter sein als das, was der überwiegende Teil des amerikanischen Rocknachwuchses momentan so anzubieten hat: „Das Thema, das sich durch die Platte zieht, ist Enttäuschung und die daraus folgende Desillusionierung, und das auf politischer und persönlicher Ebene. Es geht um Kriege, die dieses Land führt, aber ebenso um Freunde, die an einer Überdosis gestorben sind.“

Aber bei den im Albumtitel beschworenen „dauerhaften tödlichen Fehlern“ handelt es sich für Endino nicht nur um George Bush jr., sondern eben auch um Kurt Cobain. Endino verarbeitet auf dem Album die persönlichen Negativerfahrungen, die sich in den letzten Jahren so häuften, dass er das Album zwischenzeitlich „Fünf Todesfälle, zwei Selbstmorde und eine Scheidung“ nennen wollte, und verschränkt sie mit gesellschaftlichen und politischen Fragen, verknüpft, ganz altmodisch, das Private mit dem Politischen. Grund genug, „mit dem Alter – im Gegensatz zu allen anderen – immer wütender zu werden“.

Während die ehemaligen Mitstreiter mittlerweile Familien gegründet haben und vergleichsweise bürgerliche Leben führen, hat sich Endino unlängst scheiden lassen, organisiert sein Leben ausschließlich um Studiotermine herum, ernährt sich meist ungesund und hält tapfer die alten Ideale hoch: Er produziert immer noch nahezu ausschließlich Independent-Bands und betreibt, um sich die Unabhängigkeit zu erhalten, kein eigenes Studio. Stattdessen wird er übermorgen seinen altersschwachen Buick nach Aberdeen lenken. In dem eher tristen Städtchen drei Autostunden südlich von Seattle, das zu mittelmäßiger Berühmtheit gelangte, weil Kurt Cobain dort aufwuchs, produziert er eine nicht einmal örtlich allzu bekannte Band, die bereits seit Jahren um seine Dienste bettelt. Damit sind sie nicht allein: Die Anfragen kommen regelmäßig, denn der Name Endino ist längst zum Markenzeichen geworden. Der Endvierziger, der sein genaues Alter geheim zu halten versucht, garantiert einen lebendigen Sound, den zügigen Abschluss der Aufnahmen, und das alles zu angemessenen Preisen. Qualitäten, die bei unabhängigen Plattenfirmen in der ganzen Welt immer noch sehr geschätzt werden.

So begeistert andere über den Produzenten Endino sein mögen, er selbst sieht sich noch nicht einmal unbedingt als solchen, weil „ich zwar natürlich schon mehr bin als ein Knöpfchendreher, aber halt auch niemandem meinen Sound aufdränge“. Die wichtigste Eigenschaft eines Produzenten ist für ihn Geduld, und noch heute besteht er darauf, dass er „zuerst Musiker“ war, und das Produzieren „eigentlich nur die zweite Wahl“ ist.

Trotzdem hat er mittlerweile die psychologischen Anforderungen an das Berufsprofil gemeistert und betätigt sich im Studio als „spiritueller Cheerleader“. Musiker, erzählt er, wollen gern glauben, sie hätten selbst entdeckt, was sie falsch gemacht haben. Auf keinen Fall wollen sie von einem naseweisen Produzenten darauf hingewiesen werden: „Man kann nicht einfach sagen: Das war schief! Man muss Diplomat sein.“

Der Diplomat in Jack Endino ist sogar in der Lage, einem Zuhörer das Gefühl zu geben, es würde ihn gar nicht langweilen, die alten Geschichten noch einmal zu erzählen. Trotz aller Wut eben doch ein höflicher Mensch. Wenn Endino jemanden erschrecken will, dann muss er schon auf Deutsche zurückgreifen, dann legt er die Scorpions auf. Nicht die „Wind of Change“- Scorpions, sondern das Debütalbum der Hannoveraner Band aus den frühen Siebzigerjahren. „Sehr seltsame Psychedelic-Platte“, grinst er, „die Gesichter sind unbezahlbar, wenn man erzählt, wer das ist. Das ist schon fast Krautrock.“ Dass Jack Endino immer noch seine Freude hat an eher traditionellen Modellen, die durchaus etwas schäbig sein können, das sieht man eben nicht nur seinem Automobil an.