Der Weg zur Energiewende: Technik? Was sonst!

25 Jahre nach Tschernobyl behindert die Atomkraft noch immer den Fortschritt. Wie die Energiewende bis 2050 geschafft werden kann. Eine Analyse.

Mitte des Jahrhunderts werden die erneuerbaren Energien wohl das Öl als wichtigste Quelle ablösen: Biogas-Anlage und Windräder in Nauen. Bild: dapd

Die Debatte darüber, woher wir künftig unsere Energie beziehen wollen, wird zurzeit völlig beherrscht von der Frage der Zukunft der Atomenergie. Aber das führt in die Irre: Erstens hat die Kernkraft am Gesamtenergieverbrauch der Menschheit bloß einen Anteil von 6 Prozent. Und zweitens steht sie bei der nötigen Energiewende im Wege.

Die Atomenergie ist eine Idee der Moderne. In den Sechzigern dominierte die Vorstellung, Kernkraft würde billige Energie im Überfluss bereitstellen, so billig, dass man auf Stromzähler verzichten könne. Große Strukturen für große Probleme - so kann man diese Mentalität beschreiben.

Was ist heute anders als vor einem Vierteljahrhundert?

Anlässlich des 25. Jahrestags der Atomkatastrophe erscheint die taz am 21. April mit 12 Sonderseiten. Auch an Ihrem Kiosk!

***

Tschernobyl ist die größte Katastrophe der Industriegeschichte und wird es hoffentlich auch bleiben. Doch die Energie der Atomkerne ist etwa eine Million Mal stärker als die des üblichen Feuers und hat deshalb immer wieder unerwartete Schäden angerichtet. Was genau 1986 in Tschernobyl passiert ist und wie viele Menschen vor Ort als Liquidatoren eingesetzt waren, wird nach wie vor in Moskau geheim gehalten. Die Zahl der Liquidatoren liegt zwischen einer halben und einer ganzen Million Menschen.

***

Laut der Atomenergieagentur IAEO sind nur 62 Strahlentote nachgewiesen. Nach unabhängigen Berechnungen sind es jedoch mehrere hunderttausend bisher. Dabei sind es nicht nur Krebsfälle, die Tschernobyl-Opfer zu beklagen hatten; die Haupttodesursache sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese werden unter anderem auf das radioaktive Cäsium im Herzmuskel zurückgeführt.

Zweifel an der Sicherheit der AKWs gab es immer. Als 1979 in Harrisburg die erste Kernschmelze einen Reaktor zerstörte, wurde intensiv nach Alternativen gesucht. 1986, nach der Explosion von Tschernobyl, war jedoch die Technik der erneuerbaren Energien noch nicht weit genug gediehen.

Damals schon kursierte die Idee, aus Wind und Sonne Energie zu schöpfen: Die Vision von solaren Großkraftwerken in der Sahara gab es schon damals. Doch das war noch graue Theorie. In Deutschland erprobte man Windenergie erstmals im großen Stil: Mit einem völlig überdimensionierten, 100 Meter hohen Ungetüm namens Growian, dass an der Nordsee wegen mechanischer Überlastung mehr stillstand als sich drehte.

Die Lage hat sich mittlerweile geändert. Biomasse, Solarthermie und Windkraft haben sich in der Praxis bewährt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Kernkraftalternativen zu konkurrenzfähigen Preisen Strom liefern können.

Die richtige Technologie ist da. Wer das Klima retten und die Welt vor der Atomkraft schützen will, muss vor allem schlaue Wege finden, alternative Techniken zu fördern. Das war lange ein Problem der deutschen Umweltbewegung, die eher technikfeindliche Wurzeln hat. Das hat sich zum Glück geändert.

Für eine Energiewende ist es hilfreich, vom Ende her zu denken. Die Frage ist also: Woher kommt die Energie im Jahr 2050?

Natürlich kann man das nicht genau vorhersagen. Klar aber ist: Das Ölzeitalter geht langsam zu Ende. Mitte des Jahrhunderts werden die erneuerbaren Energien wohl das Öl als wichtigste Quelle ablösen. Nicht weil sie klimafreundlicher, sondern weil sie dann billiger sind. Ende des Jahrhunderts werden die fossilen Brennstoffe endgültig Geschichte sein.

Zu den weithin respektierten Vorhersagen gehören die vom Ölmulti Shell. In seiner jüngsten Studie von 2008 prognostiziert der Konzern, dass sich die Staaten wenig koordinieren und Klimaabkommen unverbindlich bleiben ("Scramble-Szenario"), bis 2050 dennoch moderne erneuerbare Energien ein Drittel des Energiebedarfs decken. Die "Brückentechnologien" sind dabei Kohle und Gas - die Kernenergie stagniert.

Was sind die großen Herausforderungen?

Rund 1,4 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Strom, schätzt die Internationale Energieagentur IEA (pdf), rund 2,7 Milliarden Menschen heizen mit Holz und Dung, leben also praktisch noch im vorindustriellen Zeitalter.

Bis 2050 dürften die Schwellenländer in Asien und Ozeanien die Hälfte des Weltenergieverbrauchs auf sich vereinen, schätzen die Shell-Analytiker. Der aktuelle Pfad, den diese Länder einschlagen, ähnelt sehr dem des Westens in den sechziger und siebziger Jahren. Je gerechter es in der Welt zugehen wird, desto größer der Treibhauseffekt.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Um den menschengemachten Treibhauseffekt in Grenzen zu halten, muss die entwickelte Welt vorangehen. Das Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 sieht eine Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen um mindestens 80 Prozent bis 2050 vor (gegenüber 1990). Im besten Falle sollen es 95 Prozent werden.

Für Letzteres wäre ein radikaler Umbau nötig. Der Umweltverband WWF hat das 95-Prozent-Ziel von Prognos und Öko-Institut in der Studie "Modell Deutschland" von 2009 nachrechnen lassen. Die größte Reserve für den Umbau wären nicht neue Kraftwerke, sondern vermiedener Verbrauch. Die Potentiale dafür sind gewaltig – und bedeuten keinesfalls Komfortverlust. Schon heute kann man zum Beispiel Häuser bauen, die praktisch keine Energie zum Heizen benötigen. In dem Szenario würde 2050 fossile Energie nur noch für Spezialbereiche wie Kerosin verwendet. 85 Prozent der Energie käme aus erneuerbaren Quellen.

Der Mythos von der Brücke namens Kernenergie

Die Atomkraft ist keine "Brückentechnologie" in diese neue Zeit. Im Gegenteil. Eine zentrale Energieversorgung mit riesigen Reaktoren, deren Stromangebot verkauft werden will, blockiert Innovation und Energiesparen, urteilte das Umweltbundesamt schon 1998. Auch mangelt es der Atomkraft an der schnellen Regelbarkeit, die nötig ist, um Stromnetze mit viel Wind- und Sonnenstrom zu betreiben. Die AKWs sind schlicht im Weg.

Handys statt Kathedralen

Dezentrale Strukturen statt Großkraftwerke: Diese Grundidee der Energiewende ist im Zeitalter des Internets plötzlich einleuchtend. Und es gibt ein Gesetz, dass wie kein zweites die Energiewende befeuert hat: das Stromeinspeisegesetz von 1991. Damals verzweifelte ein CSU-Abgeordneter aus Siegsdorf an den zentralistischen Strukturen: Der Bundestagshinterbänkler namens Matthias Engelsberger verhandelte für Wasserkraftwerke den Preis, zu dem der regionale Stromversorger den Strom abnimmt. Und biss auf Granit.

Engelsberger bat den grünen Politiker Wolfgang Daniels um Formulierungshilfe für ein Gesetz, dass die Versorger zur fairen Stromabnahme verpflichten sollte. Verabschiedet wurde es dann ohne die Grünen, weil der damalige Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers nicht mit Ökos stimmen wollte. Dieses Gesetz löste einen ersten kleinen Boom der Windräder aus.

Im Jahre 2000 machte die rot-grüne Bundesregierung daraus ein extrem effektives Technologieförderprogramm namens EEG, das den erneuerbaren Energien einen anhaltenden Boom bescherte - und die heutige technologische Vorreiterrolle Deutschlands begründete. Jeder kann dank EEG ein kleines Öko-Kraftwerk betreiben und zu garantierten Preisen seinen Strom ans Netz abgeben. Die Preise sind so gesetzt, dass es dem aktuell technisch Möglichen entspricht.

"Wenn wir das EEG nicht gehabt hätten, sähe die Situation weltweit heute für die Erneuerbaren völlig anders aus", urteilt Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT.

Kleine flexible Strukturen anstatt zentralistischer Großkraftwerke: Es ist kein Zufall, dass die Windenergie ihre Kosten in den vergangenen zehn Jahren halbieren konnte, während das internationale Forschungsprojekt zur Kernfusion trotz Milliardeninvestitionen nicht recht vorankommt. "Dinge, die sich wie Handys vermarkten lassen", bemerkte einst Energieforscher Amory Lovins ganz treffend, "verbreiten sich schneller als Dinge, die wie Kathedralen errichtet werden müssen."

Die Technik entscheidet

Diese Art von Fortschritt anzuheizen, ist heute die entscheidende Aufgabe - nicht die Frage, ob die Atomkraft noch fünf Jahre länger oder kürzer läuft. Die Anreizprogramme müssen neue Energiequellen genauso fördern wie Innovationen zum sparsameren Verbrauch von Energie.

Dafür werden wir zunächst einen Aufpreis zahlen müssen. Doch selbst beim radikalen "Modell Deutschland" des WWF überwiegt irgendwann der Nutzen, weil wir kaum noch teures Öl und Gas kaufen müssten.

Dabei ist der Gewinn für die heimische Exportindustrie noch gar nicht mitgerechnet. Ähnlich wie die USA das Internet dominieren, könnte Deutschland bei den Erneuerbaren Energien die Standards setzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.