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Der Weg zur EnergiewendeTechnik? Was sonst!

25 Jahre nach Tschernobyl behindert die Atomkraft noch immer den Fortschritt. Wie die Energiewende bis 2050 geschafft werden kann. Eine Analyse.

Mitte des Jahrhunderts werden die erneuerbaren Energien wohl das Öl als wichtigste Quelle ablösen: Biogas-Anlage und Windräder in Nauen. Bild: dapd

Die Debatte darüber, woher wir künftig unsere Energie beziehen wollen, wird zurzeit völlig beherrscht von der Frage der Zukunft der Atomenergie. Aber das führt in die Irre: Erstens hat die Kernkraft am Gesamtenergieverbrauch der Menschheit bloß einen Anteil von 6 Prozent. Und zweitens steht sie bei der nötigen Energiewende im Wege.

Die Atomenergie ist eine Idee der Moderne. In den Sechzigern dominierte die Vorstellung, Kernkraft würde billige Energie im Überfluss bereitstellen, so billig, dass man auf Stromzähler verzichten könne. Große Strukturen für große Probleme - so kann man diese Mentalität beschreiben.

Was ist heute anders als vor einem Vierteljahrhundert?

25 Jahre Tschernobyl

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Tschernobyl ist die größte Katastrophe der Industriegeschichte und wird es hoffentlich auch bleiben. Doch die Energie der Atomkerne ist etwa eine Million Mal stärker als die des üblichen Feuers und hat deshalb immer wieder unerwartete Schäden angerichtet. Was genau 1986 in Tschernobyl passiert ist und wie viele Menschen vor Ort als Liquidatoren eingesetzt waren, wird nach wie vor in Moskau geheim gehalten. Die Zahl der Liquidatoren liegt zwischen einer halben und einer ganzen Million Menschen.

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Laut der Atomenergieagentur IAEO sind nur 62 Strahlentote nachgewiesen. Nach unabhängigen Berechnungen sind es jedoch mehrere hunderttausend bisher. Dabei sind es nicht nur Krebsfälle, die Tschernobyl-Opfer zu beklagen hatten; die Haupttodesursache sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese werden unter anderem auf das radioaktive Cäsium im Herzmuskel zurückgeführt.

Zweifel an der Sicherheit der AKWs gab es immer. Als 1979 in Harrisburg die erste Kernschmelze einen Reaktor zerstörte, wurde intensiv nach Alternativen gesucht. 1986, nach der Explosion von Tschernobyl, war jedoch die Technik der erneuerbaren Energien noch nicht weit genug gediehen.

Damals schon kursierte die Idee, aus Wind und Sonne Energie zu schöpfen: Die Vision von solaren Großkraftwerken in der Sahara gab es schon damals. Doch das war noch graue Theorie. In Deutschland erprobte man Windenergie erstmals im großen Stil: Mit einem völlig überdimensionierten, 100 Meter hohen Ungetüm namens Growian, dass an der Nordsee wegen mechanischer Überlastung mehr stillstand als sich drehte.

Die Lage hat sich mittlerweile geändert. Biomasse, Solarthermie und Windkraft haben sich in der Praxis bewährt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Kernkraftalternativen zu konkurrenzfähigen Preisen Strom liefern können.

Die richtige Technologie ist da. Wer das Klima retten und die Welt vor der Atomkraft schützen will, muss vor allem schlaue Wege finden, alternative Techniken zu fördern. Das war lange ein Problem der deutschen Umweltbewegung, die eher technikfeindliche Wurzeln hat. Das hat sich zum Glück geändert.

Für eine Energiewende ist es hilfreich, vom Ende her zu denken. Die Frage ist also: Woher kommt die Energie im Jahr 2050?

Natürlich kann man das nicht genau vorhersagen. Klar aber ist: Das Ölzeitalter geht langsam zu Ende. Mitte des Jahrhunderts werden die erneuerbaren Energien wohl das Öl als wichtigste Quelle ablösen. Nicht weil sie klimafreundlicher, sondern weil sie dann billiger sind. Ende des Jahrhunderts werden die fossilen Brennstoffe endgültig Geschichte sein.

Zu den weithin respektierten Vorhersagen gehören die vom Ölmulti Shell. In seiner jüngsten Studie von 2008 prognostiziert der Konzern, dass sich die Staaten wenig koordinieren und Klimaabkommen unverbindlich bleiben ("Scramble-Szenario"), bis 2050 dennoch moderne erneuerbare Energien ein Drittel des Energiebedarfs decken. Die "Brückentechnologien" sind dabei Kohle und Gas - die Kernenergie stagniert.

Was sind die großen Herausforderungen?

Rund 1,4 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Strom, schätzt die Internationale Energieagentur IEA (pdf), rund 2,7 Milliarden Menschen heizen mit Holz und Dung, leben also praktisch noch im vorindustriellen Zeitalter.

Bis 2050 dürften die Schwellenländer in Asien und Ozeanien die Hälfte des Weltenergieverbrauchs auf sich vereinen, schätzen die Shell-Analytiker. Der aktuelle Pfad, den diese Länder einschlagen, ähnelt sehr dem des Westens in den sechziger und siebziger Jahren. Je gerechter es in der Welt zugehen wird, desto größer der Treibhauseffekt.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Um den menschengemachten Treibhauseffekt in Grenzen zu halten, muss die entwickelte Welt vorangehen. Das Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 sieht eine Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen um mindestens 80 Prozent bis 2050 vor (gegenüber 1990). Im besten Falle sollen es 95 Prozent werden.

Für Letzteres wäre ein radikaler Umbau nötig. Der Umweltverband WWF hat das 95-Prozent-Ziel von Prognos und Öko-Institut in der Studie "Modell Deutschland" von 2009 nachrechnen lassen. Die größte Reserve für den Umbau wären nicht neue Kraftwerke, sondern vermiedener Verbrauch. Die Potentiale dafür sind gewaltig – und bedeuten keinesfalls Komfortverlust. Schon heute kann man zum Beispiel Häuser bauen, die praktisch keine Energie zum Heizen benötigen. In dem Szenario würde 2050 fossile Energie nur noch für Spezialbereiche wie Kerosin verwendet. 85 Prozent der Energie käme aus erneuerbaren Quellen.

Der Mythos von der Brücke namens Kernenergie

Die Atomkraft ist keine "Brückentechnologie" in diese neue Zeit. Im Gegenteil. Eine zentrale Energieversorgung mit riesigen Reaktoren, deren Stromangebot verkauft werden will, blockiert Innovation und Energiesparen, urteilte das Umweltbundesamt schon 1998. Auch mangelt es der Atomkraft an der schnellen Regelbarkeit, die nötig ist, um Stromnetze mit viel Wind- und Sonnenstrom zu betreiben. Die AKWs sind schlicht im Weg.

Handys statt Kathedralen

Dezentrale Strukturen statt Großkraftwerke: Diese Grundidee der Energiewende ist im Zeitalter des Internets plötzlich einleuchtend. Und es gibt ein Gesetz, dass wie kein zweites die Energiewende befeuert hat: das Stromeinspeisegesetz von 1991. Damals verzweifelte ein CSU-Abgeordneter aus Siegsdorf an den zentralistischen Strukturen: Der Bundestagshinterbänkler namens Matthias Engelsberger verhandelte für Wasserkraftwerke den Preis, zu dem der regionale Stromversorger den Strom abnimmt. Und biss auf Granit.

Engelsberger bat den grünen Politiker Wolfgang Daniels um Formulierungshilfe für ein Gesetz, dass die Versorger zur fairen Stromabnahme verpflichten sollte. Verabschiedet wurde es dann ohne die Grünen, weil der damalige Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers nicht mit Ökos stimmen wollte. Dieses Gesetz löste einen ersten kleinen Boom der Windräder aus.

Im Jahre 2000 machte die rot-grüne Bundesregierung daraus ein extrem effektives Technologieförderprogramm namens EEG, das den erneuerbaren Energien einen anhaltenden Boom bescherte - und die heutige technologische Vorreiterrolle Deutschlands begründete. Jeder kann dank EEG ein kleines Öko-Kraftwerk betreiben und zu garantierten Preisen seinen Strom ans Netz abgeben. Die Preise sind so gesetzt, dass es dem aktuell technisch Möglichen entspricht.

"Wenn wir das EEG nicht gehabt hätten, sähe die Situation weltweit heute für die Erneuerbaren völlig anders aus", urteilt Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT.

Kleine flexible Strukturen anstatt zentralistischer Großkraftwerke: Es ist kein Zufall, dass die Windenergie ihre Kosten in den vergangenen zehn Jahren halbieren konnte, während das internationale Forschungsprojekt zur Kernfusion trotz Milliardeninvestitionen nicht recht vorankommt. "Dinge, die sich wie Handys vermarkten lassen", bemerkte einst Energieforscher Amory Lovins ganz treffend, "verbreiten sich schneller als Dinge, die wie Kathedralen errichtet werden müssen."

Die Technik entscheidet

Diese Art von Fortschritt anzuheizen, ist heute die entscheidende Aufgabe - nicht die Frage, ob die Atomkraft noch fünf Jahre länger oder kürzer läuft. Die Anreizprogramme müssen neue Energiequellen genauso fördern wie Innovationen zum sparsameren Verbrauch von Energie.

Dafür werden wir zunächst einen Aufpreis zahlen müssen. Doch selbst beim radikalen "Modell Deutschland" des WWF überwiegt irgendwann der Nutzen, weil wir kaum noch teures Öl und Gas kaufen müssten.

Dabei ist der Gewinn für die heimische Exportindustrie noch gar nicht mitgerechnet. Ähnlich wie die USA das Internet dominieren, könnte Deutschland bei den Erneuerbaren Energien die Standards setzen.

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5 Kommentare

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  • Z
    Zafolo

    Der Umstieg der Verbraucher auf Ökostrom ist jetzt aus mehreren Gründen wichtig: Erstens vermindert er natürlich direkt das nukleare Risiko. Zweitens schichtet er Finanzströme um von leichtverdienten Gewinnen für die AKW-Betreiber zu investitionen in nachhaltigere Energieerzeugen, von der die Gesellschaft auch auf die Dauer etwas hat.

     

    Drittens aber - und das wird oft übersehen - gräbt er dem Quertransfer das Wasser ab, bei dem Verbraucher - auch und gerade solche mit geringem Einkommen - hohe Stromtarife bezahlen und so energieverschwendenden Großunternehmen unverschämt billige Strompreise ermöglichen. Diese Großunternehmen sind die einzigen auf der Verbraucherseite, die von der Atomkraft profitieren. Einheitlichere Strompreise würden diesen Unternehmen nicht nur Beine machen, sondern überhaupt erst Anreize schaffen mit Energie sparsamer umzugehen. Und wenn das geschieht, dann kann man locker auch die restlichen AKWs abschalten. Wie es so schön heißt: Energiesparen ist die beste Energiequelle.

  • S
    Simon

    Anders leben? Was sonst!

     

    Der Glaube, dass mit Technik jedes Problem zu loesen sei, hat erst zu der Situation gefuehrt, in der wir uns heute befinden: in einer hochabhaengigen Gesellschaft mit zentralisierten und global vernetzten Strukturen der Energieerzeugung, des Verkehrs und der Transportwege fuer fast alle Gegenstaende unseres taeglichen Bedarfs.

     

    Die unbequeme Wahrheit dieser Tage ist, dass diese Welt der zentralisierten Strukturen nicht zu erhalten ist. Ein Blick auf die Entwicklung der Rohoelpreise der vergangenen vierzig Jahre verraet, dass die Energiewende zwar wichtig ist, aber dass sie uns nicht ersparen wird, unsere Abhaengigkeiten aufzuloesen. Dafuer kommt sie deutlich zu spaet.

     

    Mit ein paar e-Autos und Passivhaeusern wird es nicht getan sein. Was es braucht, ist ein ganz anderes Leben, eine Re-Lokalisierung. Wenn wir uns nicht heute bewusst fuer diese Re-Lokalisierung unseres Lebensstils entscheiden, werden wir sie morgen serviert bekommen, und zwar in Form von Engpaessen, explodierenden Preisen und haertesten wirtschaftlichen Konsequenzen.

     

    Wir brauchen neue Antworten auf die alten Fragen, nicht den gleichen alten Glauben an die Macht der Technik, dieses Mal "in gruen".

  • C
    corax

    Hallo taz, vielen Dank für die "Betrachtung vom Ende her". Alternativen betrachten, bewerten und entscheiden ist wesentlich besser als aufgeregt herumhüpfen.

     

    Eine Anmerkung zur Argumentation zur Kernenergie. Im Text findet sich folgendes: "Eine zentrale Energieversorgung mit riesigen Reaktoren, deren Stromangebot verkauft werden will, blockiert Innovation und Energiesparen, urteilte das Umweltbundesamt schon 1998. Auch mangelt es der Atomkraft an der schnellen Regelbarkeit, die nötig ist, um Stromnetze mit viel Wind- und Sonnenstrom zu betreiben."

     

    Beide genannten Punkte sind nicht haltbar. Kernkraftwerke sind nach Pumpspeicherkraftwerken die am schnellsten regelbaren thermischen Kraftwerke. Es ist nur - bisher - wirtschaftlich nicht sinnvoll sie zu regeln, weil ihre variablen Produktionskosten extrem gering sind. Und das "riesige Stromangebot" der Kernkraftwerke deckt nur rund ein Viertel der deutschen Stromnachfrage, trägt aber wesentlich zur Netzstabilität bei.

     

    Die entscheidenden Argumente sind das Unfallrisiko und die Lagerung der Brennstäbe, nicht die Flexibilität und Menge der Stromproduktion. Der geringe CO2-Footprint ist ein Vorteil, der bei Ersatz durch Gas oder Kohle entfällt.

  • R
    Rolle

    Technik ist ja okay. Aber mit der grünen Technologie jetzt ein universelles Fortschrittsversprechen wie in der frühen Moderne zu verknüpfen ist nicht weniger blind, wie damals bei der Dampfmaschiene, dem Otto-Motor oder Atomkraft.

    Geht es nicht auch eine nummer kleine? Wieso reicht es nicht aus, dass wir evtl. mit der grünen Technologie eine neue und alternative Energiequelle gefunden haben? Muss jetzt gleich wieder eine neue Technologie zum universellen Zukunftsprojekt erhoben werden. Aus einer bestimmten Perspektive ist die grüne Technologie als IDee dabei sogar noch universller als alles vorher - sie bansprucht nun gleich ein Projekt der universellen Menschheit zu sein - da ja auch die Gefahren der alten Technologien globale sind. Damit wird jeder der sich gegen eine bestimmte - jetzt grüne - Fortschrittsidee stellt, zum Feind der Menschheit an sich. In der Moderne hat ich dieses Idee schon des öfteren als fatal für die Gegenwart erwiesen - wir sollten endlich aufhören zu glauben, wir könnten die Gegenwart opfern um die Zukunft retten zu können.

  • N
    novo

    Die alternativen Energien können eigentlich schon seit Beginn gegen Atomstrom bestehen. Man darf nicht vergessen, daß Atomstrom massiv subventioniert ist.

     

    Sowohl den Aufbau der AKWs sowie sämtliche Sicherheitsmaßnahmen, angefangen vom Polizeischutz von Kastortransporten bis hin zur Endlagerung vom Kraftwerksmüll zahlt am Ende der "Unerschöpfliche Steuerzahler"

    (und zwar bis in alle Ewigkeit, wenn man die Sache ernst nähme).

     

    Dagegen werden neue zB Photovoltaikanlagen meist aus privatem Kapital errichtet.

     

    Damit die Erneuerbaren neben der extrem subventionierten Atomkraft bestehen kann, hat man einfach die Erneuerbaren ebenfalls subventioniert. Könnte man sich alles sparen glaube ich.

    Deren Subventionen für die Stromabnahme sind gegen die der AKW ein schlechter Witz.