: Der Verrat
„Mein Bruder – We’ll Meet Again“. Regie: Thomas Heise, Deutschland 2004, 59 Min.
Die Ausgangslage in Thomas Heises neuem Dokumentarfilm „Mein Bruder – We’ll Meet Again“ wirkt etwas theatralisch: Micha, der Herzspezialist, hat als IM für die Stasi Berichte geschrieben. Auch über Freunde, wie Thomas Heise und dessen Bruder Andreas. Zu Schaden gekommen ist wohl niemand. Yvonne kümmert sich um die Kinder, die sie mit Micha hat. Das Paar ist getrennt, lebt aber noch zusammen und besitzt eine Pension in schönster Pyrenäenlandschaft. Andreas, ein leicht hippieesker Koch, ist nach drei Herzinfarkten aus Berlin weg und in diese Pension gezogen. Dort kocht er für Micha, Yvonne und ein paar Sommergäste.
Es ist Oktober. Der Regisseur kommt vorbei: „Mein Besuch ist kurz. Ich möchte mit meinem großen Bruder über Micha reden, seinen Freund. Unsern IM“, heißt es etwas irreführend im Presseheftchen, denn tatsächlich war es wohl eher so, dass der Regisseur mit seinem Filmteam nach Frankreich gefahren ist, um einen Film über diesen Besuch zu machen.
In dem für Heise’sche Verhältnisse angenehm leichten Film ist die Pension archetypisch ländlich französisch. Alternierend gibt es schöne Natur, Lebensalltag von Micha, Yvonne, den Kindern und Andreas und problemorientierte Gespräche über die Stasi, über Verrat, Schuld und schlechtes Gewissen.
Micha, der Ex-IM, ist schuldbewusst. Möglicherweise meint er, verpflichtet zu sein, vor der Kamera über seine Stasimitarbeit zu sprechen. Was er sagt, haben schon viele IMs vor ihm gesagt; dass er dem Sozialismus zum Sieg habe verhelfen wollen, dass „die Stasis“ nett und intelligent schienen, dass er niemanden habe anschwärzen wollen, sich aber dennoch schuldig gemacht habe.
Andreas möchte die Dinge auf sich beruhen lassen. „War scheiße, aber nicht mehr zu ändern.“ Er wirft dem Bruder Selbstgerechtigkeit vor. „Wir haben niemals richtig miteinander gesprochen.“ Und nun kommst du an mit deinem Film, in dem ich meinen Freund, der mir geholfen hat, politisch korrekt und filmtauglich beschimpfen soll. So scheint der Bruder über den Bruder zu denken – suggeriert der Film. Und dass der Ex-IM einem Exopfer näher steht als seinem Bruder.
Überall in Heises Film gibt es also Dinge, die eigentlich nicht gehen: dass der Freund IM war, dass das Exopfer für den Extäter arbeitet, dass das getrennte Paar zusammenlebt, dass der Filmemacher die IM-Geschichte verwertet. Überall knarzt es, funktioniert aber ganz banal. Und danach hat man einen Kater, wie es eben so ist, am nächsten Morgen, nachdem man die Nacht zu Besuch bei fernen Freunden in beeindruckender Landschaft verbracht und vielleicht viel zu viel erzählt hat.
DETLEF KUHLBRODT