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■ Der UN-Weltbevölkerungsbericht fordert FrauenrechteEine schöne, verlogene Angelegenheit

Die Vereinten Nationen sind feministisch geworden. Ihr neuer Weltbevölkerungsbericht fordert vehement Frauenrechte ein; zum Beispiel den freien Zugang zu Informationen über Verhütungsmittel und das Recht auf gesundheitlich sichere Abtreibung. Es ist der erste Jahresbericht des UN-Bevölkerungsfonds, der statt demographischer Schwarzmalereien die auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 diskutierten Schlüsselbegriffe „reproduktive Rechte“ und „reproduktive Gesundheit“ in den Vordergrund rückt. Beide Ziele waren seinerzeit gegen den Willen des Vatikans und einiger islamischer Länder durchgesetzt worden.

Es ist schön, daß eine UN-Institution Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frauen fordert und empört anprangert, daß die Welt davon noch recht weit entfernt ist. Der bittere Beigeschmack: Im bevölkerungspolitischen Kontext sind all die hehren Forderungen lediglich Mittel zum Zweck, das Bevölkerungswachstum zu senken. Das macht mißtrauisch.

Zu Recht beklagt der Bericht, daß viele Frauen bei illegalen Abtreibungen sterben. Was der Bericht nicht sagt: Noch immer leiden in Teilen der Welt auch Frauen unter bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahmen, unter erzwungenen Sterilisationen, implantierten Hormonpräparaten wie „Norplant“, deren katastrophale gesundheitliche Folgen schon seit langem bekannt sind.

Aber immerhin. Wenn wenigstens der Diskurs die Menschen nicht mehr nur als gefährliche Masse sieht, sondern statt dessen den Willen der Frau in den Mittelpunkt stellt, dann ist das schon besser als früher. Damals war regelmäßig die Rede davon, wie die „Bevölkerungsbombe“ zu entschärfen sei.

Der Bericht offenbart aber auch ein Phänomen, das UN-Konferenzen seit dem Umweltgipfel in Rio kennzeichnet: Die internationalen Expertenrunden haben ein Vokabular geprägt, das in alle entwicklungspolitischen Förderungsanträge Eingang findet – dort aber nie wieder herauskommt. So wird der Mangel an reproduktiven Rechten und Gesundheit für die Frauen in der Dritten Welt beklagt – während gleichzeitig in Polen Abtreibungen mit sozialer Indikation verboten werden, in Schottland eine Frau von ihrem Ehemann per Gerichtsbeschluß am Schwangerschaftsabbruch gehindert wird und in den USA die Pro-Life-Fanatiker Abtreibungskliniken bedrohen. Ein bevölkerungspolitisches Thema freilich ist das nicht, bei nur 0,3 Prozent Bevölkerungswachstum in den Industrieländern. Bernd Pickert

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