: Der Treibstoff Fantasie
HÖHLENSTORYS Die Bücher über die Steinzeitfrau „Ayla“ sind Bestseller. Es gibt viel guten Sex und gleichberechtigte Verhältnisse unter den Eiszeitlern
VON CHRISTEL BURGHOFF
Die Zahl der Steinzeitfans ist beträchtlich. 45 Millionen Mal (3 Millionen allein in Deutschland) verkauften sich die ersten Bände der Menschheitssaga um „Ayla“. Jean M. Auel, eine Amerikanerin, schildert hier auf vielen tausend Seiten mit überbordender Fantasie und großem Fachwissen mitteleuropäisches Steinzeitleben vor 30.000 Jahren. Im Frühjahr kam der letzte Band „Ayla und das Lied der Höhlen“ heraus und hielt sich lange auf den Bestsellerlisten.
„Ayla“ ist eine hinreißende Mädchenfigur. Sie betrat 1980 die literarische Bühne. Auel beschreibt sie als eine Repräsentantin der modernen Menschengattung Homo sapiens sapiens, lässt sie aber – nach einer Naturkatastrophe – unter Neandertalern aufwachsen und in späteren Jahren auf der Suche nach eigenen Leuten ihren Weg finden. Weit über das individuelle Schicksal der Heldin hinaus untermalt dieses kulturelle Spannungsfeld die Saga. Und treibt die Handlung voran, auch räumlich. Auel führt uns on the road durch Mitteleuropa: zum Schwarzen Meer, zur nördlichen Packeisgrenze, ins Donaudelta und von da aus flussaufwärts den ganzen langen Weg der Donau entlang bis ins heutige Frankreich zu den berühmten Steinzeithöhlen mit ihren vorzeitlichen Malereien.
Auels Szenarien dürften ziemlich realistisch sein – vorausgesetzt, man akzeptiert die Ähnlichkeit zwischen heutigen Menschen und den eiszeitlichen Vorfahren. Ob vor so langer Zeit tatsächlich ein Kult der „großen Mutter“ herrschte, ist in der Wissenschaft umstritten. Aber die vorpatriarchalischen Zeiten, die Auel ausmalt, sind sympathisch. Es gibt viel guten Sex und gleichberechtigte Verhältnisse unter den Eiszeitlern. Kein Wunder, dass Aylas Geschichte bei Frauen gut ankommt.
Das bekannteste Jungensbuch zur Steinzeit ist „Rulaman“, es wurde bereits 1878 veröffentlicht. Sein Autor, David Friedrich Weinland, gehörte zur naturwissenschaftlich begeisterten und weitgereisten Forscherelite seiner Zeit (er war auch der erste Direktor des Frankfurter Zoos). Weinland reflektierte den Kenntnisstand des 19. Jahrhunderts, als er den Häuptlingssohn Rulaman erdachte und das Höhlenleben in der Steinzeit vor 3.000 Jahren auf der Schwäbischen Alb, seiner Heimat, beschrieb. Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden, die ursprünglich seinen vier Söhnen zugedacht war.
Wie später bei Jean M. Auel prallen auch in „Rulaman“ zwei Kulturen aufeinander und machen die Entwicklung des Helden so interessant. Auf der Alb ist es ein blutiger Clash. Vergleichbar anderen indigenen Völkern, die Weinland studiert hatte, ziehen die steinzeitlichen, nomadisierenden „Ureuropäer“ vor den keltischen Einwanderern den Kürzeren. Allerdings, so weiß man heute, vertat sich Weinland da um etliche tausend Jahre. Als sich die Kelten in vorrömischer Zeit in Mitteleuropa ausbreiteten, gab es längst keine altsteinzeitlichen Jäger mehr, sondern eine bäuerliche Gesellschaft. Aber Weinland kann so sehr klar zwei völlig unterschiedliche Lebensformen charakterisieren.
■ Jean M. Auel: „Die Kinder der Erde“, sechsbändiger Romanzyklus, Heyne, 1980 bis 2011
■ David Friedrich Weinland: „Rulaman“, DVA, 2005