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Der Totalschaden kam überraschend. Das Auto war zwar ganz schön vermüllt, aber gefahren ist es ohne murrenVon bissigen Pudeln und hungrigen Mäusen

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Der Februar verging wie im Flug. Wir lagen auf dem Sofa, uns tat verschiedenes weh, anderes entzündete sich. Das Fieber stieg im Laufe des Tages an bis zu dem leichten Schlaf, um den Kopfschmerzen zu entrinnen. Und dann in der Nacht der Fiebersaft. Die Lakenwechsel, und dann wieder: das Sofa.Und während uns die Krankheit an unser Haus fesselte, so hing unsere Freundin Annmarie durch ihr fehlendes Auto fest.

Ich sehe in den Kalender: am 6. Februar sollten wir sie zum TÜV fahren, am 7. wieder abholen. Jetzt ist fast März und sie sitzt noch immer ohne Auto in ihrem abgelegenen Häuschen. Aber eigentlich beginnt die Geschichte schon an dem Tag, als sie uns erzählte, dass ihre Mistpudel die Anschnallgurte zerbissen hatten. Dabei wollte sie auf das Auto, das ihr Sohn ihr finanzierte, so gut achtgeben. Zum anstehenden TÜV-Termin gab sich Annmarie extra Mühe. Sie putzte, leerte, staubsaugte, wischte. Ihr Auto war schon ganz schön vermüllt – mit sechs Pudeln kein Wunder. Und es war ein Landlebeauto, ein Gebrauchsgegenstand, Lagerraum für unerledigte Botengänge, Recyclinghoftouren, Tierfuttertransporte.

Ein bisschen wunderte sie sich über die Walnussschalen, die sie fand, denn an autoliches Walnüsseknacken konnte sie sich nicht erinnern. Sie machte ein Foto vom geputzten Autoinnenraum, ohne den linken Rücksitz mit dem Fleck, und vergaß dabei den rechten Vordersitz mit dem andern Fleck. Sie schickte die Fotos ihrem Sohn, stolz wie ein Pfau, und wir fuhren gemeinsam zum Mechaniker, der das Auto durchsehen, und ihm dann die Plakette verleihen sollte.

Doch dann wurde ich krank. Vor lauter schreienden Kindern verstand ich sie am Telefon nicht so recht, als sie mir sagte, ich bräuchte sie nicht wieder zum Mechaniker fahren. Nur, dass die Reparatur über 3.500 Euro kosten sollte, konnte ich ausmachen.

Ein paar Tage später rief mein Mann sie zurück: „Man kann die Tierliebe auch zu weit treiben“, hatte der Mechaniker angeblich gesagt, als er ein Mäusenest im Motorraum entdeckte, nebst Bonbonpapieren, Walnüssen und Essensresten. Annmaries Sohn war rasend vor Wut. „Kannste nicht einen Bauern finden, der seinen Traktor rückwärts in dein Auto setzt?“, fragte er. Annmaries Sohn ist Versicherungsvertreter.

Ich stelle mir die Mäuse im Motorraum vor, wie ihnen auf der Autobahn die Ohren schlackern, während Annmarie im Cockpit immer mehr Warnlampen das Versagen der Elektronik bestätigen. „Fuhr ja noch, das Ding“, sagte Annmarie. „Glück gehabt“, sagte der herbeigerufene Gutachter: Denn die Mäuse hatten sich durch Kabel im Wert von 6.000 Euro gefressen.

„Kein Problem“, sagte der Gutachter – und schrieb das Auto als Totalschaden ab. Immerhin zweifelte er keine Sekunde an der Geschichte, dass der Schaden in der einen Woche entstanden war, wo Annmarie das Auto habe stehen lassen, weil sie auf einem Kurzurlaub war.

Bei Annmarie blühen nun Schneeglöckchen, bei uns sind die Krokusse unterwegs. Es ist Frühling geworden, während draußen der Wind blies, wir drinnen auf Genesung warteten, Annmarie auf ihr Auto, und irgendwo, beim Mechaniker oder in Annmaries Garten, die flüggen Mäusekinder die Nestwärme des Ford-Motors durch Sonnenstrahlen ersetzt haben.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.

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