: Der Teamchef geht
■ Blau-Weiß 90 Berlin - SC Freiburg 1:0 / 5.101 Zuschauer bei klirrender Kälte / Bernd Hoss, seit fünf Jahren Trainer der Blau-Weißen, geht zum Saisonende
Wenn eine tiefgraue Zweitligamaus wie der SC Freiburg plötzlich in der Nähe der Tabellenspitze auftaucht, fragt sich natürlich alle Welt, wie solches wohl möglich ist. Grund genug, sich unter die 5.101 Menschen im Olympiastadion zu mischen und einfach mal nachzuschauen. Doch es sei vorweggenommen: Eine erschöpfende Erklärung brachte das Spiel gegen die Blau-Weißen nicht. Keines der beiden Teams riß irgendwelche Bäume aus, was unter ökologischen Gesichtspunkten zwar begrüßenswert ist, fußballerisch gesehen jedoch an Waldfrevel grenzt.
Brav und bieder stellten sich die Freiburger in ihrer Hälfte auf, ließen die Gastgeber munter stürmen und profitierten vorwiegend davon, daß der erfolgreiche Torschuß in der zweiten Bundesliga eine selten gepflegte Kunst ist. Das Flügelspiel der Berliner klappte ganz ordentlich, und so segelte eine Flanke nach der anderen in den badischen Strafraum; mal zu kurz, mal zu lang, mal zu schlapp, mal zu scharf, mal in den Rücken der Angreifer, mal in die Arme des Torhüters. Und wenn dann zufällig ein Stürmer richtig stand, traf er den Ball nicht richtig oder hielt es nicht für nötig, wegen eines läppischen Kopfballs extra hochzuspringen.
Auf der anderen Seite ist die blau-weiße Abwehr mit dem tschechischen Nationalspieler Levy als Libero zwar nicht mehr solch ein Hühnerhaufen wie in guten alten Erstligazeiten, als Levys leichtsinnigen Vorgänger Haller und Vandereycken, wegen seines diabolischen Grinsens „Dracula“ genannt, den Fans regelmäßig Gänsehäute verursachten, aber anfällig gegen Konter ist sie immer noch. Fünfmal tauchten die Freiburger Sturmspitzen völlig frei vor dem Berliner Tor auf, stellten sich dabei aber so dumm an, daß ihr Trainer Jörg Berger spontan beschloß, gleich am nächsten Tag einen neuen Angreifer zu verpflichten.
Sein Berliner Kollege Bernd Hoss übte sich inzwischen fleißig in der Pose des Teamchefs. Meist stand er, in einen dunklen Mantel gehüllt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, neben der Trainerbank, wobei er sinnigerweise die Werbeaufschrift eines Unternehmens für Zeitarbeit verdeckte, die da lautete: „Arbeit auf Zeit. Zusammenarbeit auf Dauer“. Bekanntlich hatte Hoss einen Tag zuvor angekündigt, daß er die Berliner zum Saisonende verlassen will, allerdings offengelassen, ob er einen neuen Club sucht oder nach fünfjähriger nervenaufreibender Tätigkeit bei einer Mannschaft, die sich Torchancen in Hülle und Fülle herauszuspielen pflegt, nur um sie allesamt zu versieben, lieber erstmal in ein Sanatorium geht.
Diesmal benötigte Blau-Weiß zum Siegtreffer die gütige Mithilfe gleich zweier Gegner. Eine angeschnittene Freistoß -Flanke Levys köpfte ein Freiburger Abwehrspieler in der 79. Minute zu seinem Kollegen Higl, der den Ball am verdutzten Keeper Hartenbach vorbei ins Tor lupfte, ohne einem Berliner die Chance zu lassen, noch ans Leder zu kommen und alles zu vermasseln.
Es war ein Treffer mit feucht-traurigen Folgen. „Meine Spieler haben in der Kabine geweint“, erzählte Träner Berger später, während Bernd Hoss die Fusion mit einer dunklen Macht beschwor: „Wir haben höllisches Glück gehabt.“
Matti
Blau-Weiß: Mager - Levy - Schmidt, Haller (63. Wilbois) Schlegel, Schlumberger, Gaedke, Gartmann, Clarke (75. Saternus) - Adler, Dinauer.
SC Freiburg: Hartenbach - Bury (82. Löw) - Marsing, Higl Buck, Majka, Weber, Pfahler, Lay - Hermann (57. Schweizer), Moutas.
Zuschauer: 5.101; Tor: 1:0 Higl (79. Eigentor)
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