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Der Streit ums Wahlrecht geht weiter

■ Die SPD sieht die Regierung auf dem Rückzug / Bundesratsinitiative der SPD-Länder angekündigt / Niedersachsen hält sich jedoch zurück / Länder fordern Neuüberprüfung der Finanzregelungen

Bonn (dpa/ap/taz) - Der Streit um das Wahlrecht bei der ersten gesamtdeutschen Wahl spitzt sich zu. Mehrere SPD -Länder werden heute im Bundesrat beantragen, das gesamtdeutsche Parlament nach einem einheitlichen Recht und mit einer Fünf-Prozent-Klausel für das gesamte Wahlgebiet zu wählen. Die SPD möchte dies in einem eigenen Staatsvertrag regeln.

Diese Linie der SPD-Länder ist aber nicht einheitlich: Das rot-grüne Niedersachsen will sich nicht anschließen. Bürgerrechtsgruppen der DDR dürften nicht von vorneherein von einem gesamtdeutschen Parlament ferngehalten werden, sagte Bundesratsminister Trittin (Grüne). Sein Land sei jedoch bereit, einer Fünf-Prozent-Klausel jeweils für die beiden Wahlgebiete zuzustimmen.

Für diese Lösung plädiert auch Innenminister Schäuble (CDU), der heute mit der DDR-Regierung in Ost-Berlin über das Wahlrecht spricht. Während die West-FDP ebenfalls für eine einheitliche Fünf-Prozent-Klausel ist, bekräftigte DDR -Verhandlungsleiter Krause die von der Ost-CDU eingenommene Position zu Wahlmodus und Beitritt: „Getrennt wählen und Ergebnisse auszählen in den Wahlgebieten.“ In der Nacht nach der gesamtdeutschen Wahl, die vermutlich am 2. Dezember stattfindet, solle dann der Beitritt der DDR erfolgen. SPD -Chef Vogel sieht dagegen die Union auf dem Rückzug. Schäuble habe in dieser Frage „Bewegung“ erkennen lassen.

Bundestagspräsidentin Süssmuth rief alle Parteien zum Konsens auf. Es müsse aber „jenen 32 Prozent der Wähler in der DDR Rechnung getragen werden, die sich bei den Volkskammerwahlen am 18. März für Parteien entschieden haben, die nach unserem Wahlrecht im gesamtdeutschen Parlament nicht vertreten wären.“

Auch die SPD hält eine einvernehmliche Regelung weiter für denkbar. Ein Junktim, den zweiten Staatsvertrag mit der DDR mit der Mehrheit im Bundesrat zu Fall zu bringen - falls die Wahlrechtsfrage nicht im Sinne der SPD gelöst werde -, gebe es nicht, hieß es aus dem Saarland.

Die Länder haben ihre Vorstellungen über eine bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland bei einem Treffen mit Kanzleramtsminister Seiters und Schäuble vorgetragen: Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sollten nach der Einheit grundlegend überprüft werden. In der Gesetzgebung fordern die Länder mehr Kompetenzen durch Grundgesetz-Änderungen. Angeregt wurde ferner die Einrichtung eines Rates, der innerhalb von zwei Jahren nach der Vereinigung Vorschläge über eine Verfassungsreform ausarbeiten soll. Über die Hauptstadtfrage wurde nicht gesprochen. Weitgehende Einigkeit bestand darüber, Fragen der Länderneugliederung nur zusammen mit den künftigen Ländern in der DDR zu regeln.

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