Das Portrait
: Der Stoiker

■ Anatoli Kulikow

Anatoli Kulikow, General und Innenminister, ist nur schwer aus der Ruhe zu bringen. In Tschetschenien stecken seine Truppen Schlappe für Schlappe ein, ohne daß der Minister es für nötig hielte, Strategie und Taktik zu ändern. Kein Bedarf, denn zu Hause an der Medienfront ist er schließlich wieder der Sieger. Selbst die vernichtendste Niederlage gerinnt in seiner Interpretation noch zu einem Teilerfolg. An der Heimatfront in Moskau fährt ihm zudem noch der stürmische Lebed in die Breitseite. Er beschuldigt Kulikow gar öffentlich, einen neuen Kaukasuskrieg bewußt vom Zaum zu brechen. Die Anschuldigung unterstellt Hochverrat. Allein Kulikow verharrt in stoischer Ruhe. Ein russischer Innenminister braucht starke Nerven und ausreichend Kanonenfutter.

Im Februar 1995 übernahm Kulikow den Oberbefehl über die Truppen des Innenministeriums in Tschetschenien. Zuvor hatte die reguläre Armee den Drecksjob erledigt. Moskaus Propaganda rechtfertigte den Waffengang damit, im Kaukasus „die staatliche Ordnung wiederherzustellen“ und „Verbrecherbanden“ das Handwerk zu legen. Dergleichen fällt überall auf der Welt in die Zuständigkeit des Innenministeriums. Kulikow übernahm die Aufgabe bereitwillig. Als nach der peinlichen Geiselaffäre von Budjonnowsk im Juni 95 Innenminister Jerin seinen Hut nehmen mußte, rückte der Oberkommandeur zum Minister auf.

In Rußland hat ein Zivilist im Amt des Innenministers nichts verloren. Die Tschetschenen spielten Anatoli Kulikow nach kurzer Ruhepause übel mit. Im dagestanischen Perwomaiskoje führte Feldkommandeur Radujew die gesamte russische Streitmacht vor. Das Innenministerium trug freilich nach eigener Version einen glänzenden Sieg davon. Im März schlichen die Freischärler erfolgreich in das Stadtzentrum Grosnys. Kulikow hat auch das überlebt. Von Anfang an plädierte der General für eine harte Linie im Kaukasus. Gespräche lehnte er ab, erst müßten die Rebellen kapitulieren. Der 50jährige Südrusse bewies stets Humor und eine eigenwillige Auslegung des Kriegsglücks. Schließlich zählte er schon auf der Militärakademie in Wladikawkas, die er mit Auszeichnung verließ, zu den Siegern. Kaukasier sind dem General verdächtig und auch Russen, die mit ihnen Frieden schließen wollen. Klaus-Helge Donath