■ Der „Spiegel“ und die doppelte Staatsbürgerschaft: Prinz Augstein, der Gedankenritter
„... noch nie hat es unter Privilegierten, die demselben Kulturbereich angehören, prinzipielle Schwierigkeiten mit der Staatsangehörigkeit gegeben. Sehr anders wäre das mit den Türken. Sie gehören einem Kulturkreis an, der mit dem unseren vor und nach Prinz Eugen nichts gemein hat.
Hier kann es nur eine Entscheidung geben. Entweder, sie wollen Deutsche werden, mit allen Rechten und Pflichten, oder Türken bleiben, was ihnen ja freisteht“, schreibt Rudolf Augstein diese Woche in seinem Spiegel-Kommentar.
Jetzt wissen wir es: Die Probleme in Deutschland zwischen Türken und Deutschen haben mit Prinz Eugen zu tun. Das ist ehrlich. Viel ehrlicher als das verlogene Lied von der deutsch-türkischen Freundschaft. Das Schreckgespenst des Osmanen bedroht nach wie vor Europa, zwar nicht mehr auf dem Schlachtfeld, umso mehr jedoch in den Hirnen. Nicht nur in jenen von primitiven Totschlägern. Auch in den Hirnen von Augstein und Konsorten. Ein Teil der deutschen Intellektuellen hat seinen Antisemitismus inzwischen auf einen Antitürkismus oder Antiislamismus übertragen. Was im Falle der Juden aufgrund der Judenvernichtung obsolet wurde, geht im Falle der Türken allemal: die pauschale Stigmatisierung eines ganzen Volkes aufgrund seiner Andersartigkeit. Nichts anderes tut Augstein. Und er ist bei weitem nicht allein. Ist es nicht Helmut Schmidt, Altbundeskanzler und jetziger Herausgeber der Zeit, der immer wieder erklärt, einen Beitritt der Türken in die EG könne er sich aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht vorstellen? Was bedeutet das für die zweieinhalb Millionen Türken, die bereits in der EG leben und für immer hier leben werden? Was bedeutet das für die kulturelle Leistung, die sie bereits erbringen und die vor allem von Blättern wie Spiegel und Zeit hartnäckig ignoriert wird?
Augsteins Denken ist im Zeitalter Prinz Eugens stecken geblieben. Es gibt ein Türkenproblem in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Es ist ein Problem in den Köpfen. In den Köpfen derer, die noch immer in ihren Ritterrüstungen sitzen und nicht wahrhaben wollen, daß das Volk der Türken sich auf einem sehr mühseligen, oft widerspruchsvollen, aber auch spannenden Weg zwischen den Kulturen des christlichen Europa und des islamischen Orient befindet. Und dies nicht erst seit dem Beginn der Einwanderung in Europa vor dreißig Jahren, sondern seit 150 Jahren, als der osmanische Staat die ersten gesellschaftlich-politischen Reformen einleitete. Wenn die türkische Vermittlung zwischen Europa und Nahem Osten scheitert, wird ein Krieg zwischen den Kulturen geführt werden, wie er sich seit über einem Jahr vor aller Öffentlichkeit in Bosnien abspielt. Dort nämlich sehen sich serbische Fanatiker in der Tradition Prinz Eugens und wollen Europa von den Muslimen befreien. Aber nicht überall werden die Opfer Muslime sein. Zafer Senoçak
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