ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL : Der Sommer der Liebe
Guter Ort, guter Geschmack, guter Junge, gutes Gefühl
Guter Ort: Biergartenwetter, ständig Biergartenwetter. Und ich habe den passenden Biergarten! Jeden, der mit mir reden will, schleppe ich in die „Burg am See“. Der Name trügt, denn der Biergarten liegt an einem Kanal und nicht an einem See, und eine Burg gibt es in, glaube ich, 200 Kilometer Umkreis nicht. Dafür stimmt alles andere: Es gibt Sonne. Es gibt Bier. Und es gibt eine Geschichte: die Geschichte der geglückten Integration. Denn die „Burg am See“ ist der erste Berliner Biergarten, der einem Türken gehört.
In fortschrittlichen Kreisen heißt das selbstverständlich nicht mehr „Türke“ (wie in den 70ern) oder „Ausländer“ (80er) oder „ausländischer Mitbürger“ (90er), sondern neuerdings „Mitbürger mit Migrationshintergrund“, kurz: MiMiMi.
Die MiMiMis trinken Ayran, die Berliner trinken eine Molle, und aus Süddeutschland Zugereiste wählen zwischen Weizenbier und Schwarzwälder Tannenzäpfle (im Vertrauen: dann besser Ayran). An jedem zweiten Tisch gluckert eine arabische Wasserpfeife und vor dem Biergarten bewerfen sich glückliche Kinder auf dem Spielplatz mit Rindenmulch.
„Welch ein herrlicher Ort“, meint mein Gast, und als sein Weizen kommt, ruft er: „Hach, wie in Bayern.“ Und als unsere Wasserpfeife kommt, ruft er „Hach, wie in Kairo“ und als wir gehen wollen und zum Zahlen zwanzig Minuten nach der Kellnerin winken müssen und dann den halben Nebentisch auf der Rechnung haben, ruft er: „Hach, trotzdem immer noch Kreuzberg.“
*
Guter Geschmack:
1) Sollte man sich in diesem Sommer wirklich vor Großbildleinwänden zusammenrotten, in Schwarz-Rot-Gold kleiden und herumschreien? Nun, das ist eine Geschmacksfrage.
2) Sollte man nicht besser zu Hause bleiben, Bücher lesen, Gespräche führen und Wein trinken? Das ist auch eine Geschmacksfrage.
3) Sollte man zu Hause zu bleiben, Bücher lesen, Gespräche führen, Wein trinken und sich außerdem öffentlich pikieren über die schreienden Leute in Schwarz-Rot-Gold vor den Großbildleinwänden? Auch eine Frage des Geschmacks.
4) Sollte man für diesen billigen Distinktionsgewinn gleich den Holocaust in Anspruch nehmen? Das ist keine Geschmacksfrage. So etwas tut man nicht.
*
Guter Junge: Der Junge wird in die Kita eingewöhnt. Am Montag kommt die Mama mit, um zu trösten. Das Kind weint aber nur ganz kurz. Deshalb wird er am Dienstag schon eine halbe Stunde allein gelassen. Beim Abholen: lacht er. Am Mittwoch bleibt er schon eine Stunde allein. Beim Abholen: lacht er und winkt, als die anderen Kinder „Tschüs“ rufen. Am Donnerstag bleibt er über Mittag und isst mit. Hat er die ganze Zeit nicht geweint? Nur einmal ganz kurz, sagt die Erzieherin.
Am Freitag kommen wir zu zweit am frühen Nachmittag, um ihn abzuholen, und finden ihn weinend. Und ich dachte schon, er würde uns überhaupt nicht vermissen.
*
Gutes Gefühl: „Weltmeister der Herzen“ – hört sich gut an? Von wegen! Ich weiß, wovon ich rede. Ich war nämlich schon einmal „Meister der Herzen“. Im wunderschönen Sommer 2001 stahlen Bayern München und Dr. Markus Merk (das ist der Zahnarzt, dessen „diskussionswürdiger“ Elfmeterpfiff die Amis aus der WM geworfen hat) vier Minuten nach dem eigentlichen Spielende dem FC Schalke 04 die Meisterschaft.
Nach der Enttäuschung stellt sich neben der Gewissheit, der moralische Sieger gewesen zu sein, auch ein seltsames Gefühl ein: Beim nächsten Mal wird es klappen! Es muss so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit geben! Das Beste liegt sicher noch vor uns! Das ist ein sehr angenehmes Gefühl. Leider trügt es.