: Der „Soli“ und die Einigkeit
■ betr.: „Eigentlich sind sich doch alle einig“ (Steuerreform), taz vom 9. 1. 97
1991 wurde der sogenannte Solidaritätszuschlag erstmalig eingeführt, eine Bundessteuer (Ergänzungsabgabe nach § 51 a EStG), die der Bund entgegen der vorangegangenen Steuersenkungspropaganda der Regierungsparteien und entgegen aller Wahlversprechen ab der Jahresmitte 1991 erhoben hat. Die Bezeichnung Solidaritätszuschlag ist nichts anderes als Schönfärberei für eine Variante des Wahlbetrugs. In diese Betrugszenarien gehört auch, daß diese Ergänzungsabgabe regelmäßig vor den Wahlen verschwindet, um anschließend wieder eingeführt zu werden. Daß eine Zeitung wie die taz eine dpa-Meldung verbreitet, in der regierungsamtliche Euphemismen für Wählerbetrug noch mit verniedlichenden Kosenamen versehen werden, beweist, daß die Hirnwäsche auch das letzte Grau aus der Masse entfernen kann.
In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, daß unsere Demokraten den Rechtsstaat durch professionelles Stümpertum gefährden:
Die Attitüde, daß Gesetze wie insbesondere das damalige „Solidaritätszuschlagsgesetz“, das „Pflegeversicherungsgesetz“ und das „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz“ am 27. verkündet werden, um es am folgenden Ersten mit allen Unausgegorenheiten in Kraft treten zu lassen, spricht nicht nur Bände, sondern produziert auch Bände an juristischer und verwaltungsmäßiger Nachbesserungstätigkeit (sprich: Selbstbeschäftigung).
Das professionelle Stümpertum kulminiert in der grünen Märchen- und Steuerexpertin Scheel, die weismacht, daß es Arbeitslosengeld in Höhe von 6.000 Mark (wohl monatlich) gäbe, weshalb man gerechterweise das Arbeitslosengeld besteuern sollte. Solche Dummheit ließe sich mit einem einfachen Dreisatz und Grundkenntnissen im Sozialversicherungs- und Steuerrecht vermeiden, über die jeder Lohnsachbearbeiter verfügen dürfte. Die Beitragsbemessungsgrenze für die Arbeitslosenversicherung betrug in 1996 8.000 Mark monatlich. Nach § 111 AFG beträgt das Arbeitslosgengeld bestenfalls 67 Prozent der Nettobezüge. Selbst unter bonnüblicher Vernachlässigung der Tatsache, daß Brutto nicht gleich Netto ist, ergibt sich ein rechnerischer Betrag von monatlich maximal 5.440Mark. Laut Anhang zum AFG beträgt die wöchentliche Höchstleistung 759 Mark (Leistungsgruppe C). Dies sind maximal tatsächlich 3.289 Mark an Arbeitslosengeld im Monat und nicht 6.000 Mark. Die vorgebliche soziale Ausgewogenheit wird dadurch ideologisch sichergestellt, daß die falsche Behauptung, daß Freibeträge die geringen Lohnersatzleistungen konsumieren, gleichzeitig verbreitet wird. Steuerrechtliche Rahmenbedingung ist, daß außer dem eingeklagten Existenzminimum (Grundfreibetrag) keine weiteren Freibeträge auf die sogenannten Lohnersatzleistungen gewährt werden. Das bedeutet in der Konsequenz, daß bei einem monatlichen Bruttolohn von 5.000 Mark nur 2.269,80 Mark an Arbeitslosengeld anfallen. Dieser Betrag liegt bei dem Sozialhilfebetrag für einen Vierpersonenhaushalt. Unter Volleinrechnung in die Steuer wären in 1996 1.040 Mark davon an Steuern zu zahlen gewesen. Daß derartige ideologische Statements zu de facto asozialen Gesetzen führen, solange steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen nicht erkannt werden, liegt auf der Hand. Andreas Koegler, Lorsch
[...] Unterstellt, daß das Zitat der Grünen-Abgeordneten Scheel zutrifft – Markus Franz scheint entgangen zu sein, daß der von Frau Scheel hypothetisch genannte Fall nicht eintreten kann. Denn 6.000Mark Arbeitslosengeld bekommt niemand. Er/sie müßte nämlich dazu vorher zirka 10.000 Mark netto verdient haben, was weit über die Beitragsbemessungsgrenze von zirka 8.000 Mark liegt und sich daher auch nur bis zu dieser in Arbeitslosengeld niederschlagen kann. Faktisch bekommt jemand mit einem Brutto-Jahreseinkommen in Höhe der Bemessungsgrenze von zirka 96.000 Mark in Steuerklasse I bei Abzügen (Einkommensteuer + Solidaritätszuschlag) von knapp 31.000 Mark folglich netto rund 65.000 Mark heraus. Hieraus ergibt sich ein maximales Arbeitslosengeld von etwa 3.200 Mark im Monat (60 Prozent). Frau Scheels Beispiel ist schlicht Demagogie, zumal das durchschnittliche tatsächliche Arbeitslosengeld weit unter 2.000 Mark liegt.
Noch verfehlter als ihr Beispiel ist allerdings Frau Scheels Fragestellung. Sie mogelt sich nämlich mit dem obernebulösen Argument der „Gerechtigkeit“ um die Tatsache herum, daß eine Besteuerung von Arbeitslosengeld eine Doppelbesteuerung darstellen würde. Schließlich hat das Einkommen, aus dem die zugrundeliegenden Beiträge gezahlt wurden, bereits der Versteuerung unterlegen.
Auch ihr Hinweis, daß die Masse der Arbeitslosen wegen zu gewährender Freibeträge sowieso nicht unter eine Besteuerung fallen würde, ist ein fauler Trost – ganz abgesehen davon, daß bei den allermeisten Arbeitslosen schon wegen des laut BVG steuerfreien Existenzminimums von 13.000 Mark wenig zu holen sein dürfte.
Eine Freibetragsregelung bedeutet nämlich, daß die Steuerfreiheit von Arbeitslosengeld aus einem Rechtsgrundsatz (Verbot der Doppelbesteuerung) zu einer nach Opportunitätsgesichtspunkten zu manipulierenden Ausnahmeregelung würde. Wie die derzeitige Regierung hier derzeit trickst und täuscht, wissen wir. Es bleibt festzustellen, daß die Grünen, vertreten durch Frau Scheel, nun offenbar auch auf diesem Feld Regierungsfähigkeit anstreben und sich der Waigelschen Abkassiererei bei den Unteren anzuschließen suchen. Herzlichen Glückwunsch! Reinhard Lauterbach,
Frankfurt/Main
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