: Der Sekundenstar
Abseits des roten Teppichs: Johanna Penski ist schon in so vielen Filmen aufgetreten, doch kennt fast niemand ihr Gesicht. Sie ist eine Edelkomparsin: als Leiche, als Passantin, als Blumenfrau
VON JÖRN KABISCH
Kaum zu glauben, in wie vielen Filmen sie schon ein Rolle gespielt hat. In „Sonnenallee“, in „Männerpension“ und in „Die Stille nach dem Schuss“, in „Rosenstraße“ und in Wenders Berlin-Film „In weiter Ferne so nah“. Und, und, und. Das kann keine Riemann von sich behaupten, keine Flint und auch keine Potente. Aber eine Penski. Die kann es.
Johanna Penski hat auch eine Liste mit ihren Auftritten. Die reicht sie in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung bei Schinkenstullen und Tee über den Wohnzimmertisch. Über dreißig Jahre wohnt die ehemalige Sportlehrerin schon hier in Tempelhof. „Dass ich so einen Erfolg habe, hätte ich nie gedacht“, sagt die 76-Jährige. Denn die Rentnerin bekommt viele Angebote. Es sind zwar meist nur Sekundenauftritte, aber die reichen ihr. Auch hier muss man vielfältig sein. Und ist es nicht umso bemerkenswerter, wenn man sich nur mit Kleinstauftritten einen Namen gemacht hat?
Johanna Penski als Statistin zu bezeichnen, wäre zu einfach. Sie ist eine Edelkomparsin. So nennt man das im Filmgeschäft, und deswegen ist ihr diese Bezeichnung auch gar nicht peinlich. „Es ist etwas mehr als ein Statist“, erklärt sie: „Statist, Edelkomparse, Kleindarsteller, dann kommt der Schauspieler.“ Das sei eben die Hierarchie. Was Johanna Penski dabei verschweigt: Produktionsfirmen und Agenturen haben nicht viele Namen unter dem Titel Edelkomparse in der Kartei. Dafür muss jemand schon so lange dabei sein wie die Penski – 17 Jahre inzwischen. Da muss es sich schon um einen professionellen Laiendarsteller handeln. Und für diesen Titel darf die Edelkomparsin auch einen kleinen Spleen haben. „Aber so eine bin ich nicht“, sagt Johanna Penski bestimmt, und dabei blitzt in den wachen Augen unter dem silbrigen Haar eher der Schalk auf als die versteckte Diva. Obwohl sie Erfahrung mit größeren Rollen hat, obwohl sie unter den Kleindarstellern keine Unbekannte ist, besteht sie darauf: Als stumme Passantin in einer kurzen Straßenszene aufzutauchen, das sei ihr Standardeinsatz.
Oder als Tote. Eben musste sie wieder eine spielen. Und sich für eine Folge für die ZDF-Serie „Der letzte Zeuge“ in eine Mülltonne legen. „Das war meine schwerste Leiche.“ In sechs Filmen gab sie die insgesamt schon. Aber diesmal war es bitterkalt beim Dreh, und Johanna Penski hatte nicht nur Angst, zu sehr zu zittern. Sie sorgte sich auch, dass die Kamera in der Kälte ein Atemfähnchen einfängt, wenn der Gerichtspathologe, gespielt von Ulrich Mühe, sich an der Bahre über sie beugt. Doch es ging alles gut. „Das ganze Team hat am Ende geklatscht“, erzählt sie strahlend. Außerdem, fügt sie hinzu, mache es ihr immer sehr Freude, so einem feinen Menschen und tollen Schauspieler wie Ulrich Mühe beim Dreh zu begegnen.
Solche Darsteller haben auch einen Platz in ihrer Wohnung in Tempelhof. Johanna Penski hat die Autogrammkarten sorgfältig in Glas gerahmt. Wie eine große Familiengalerie hängen sie in Reih und Glied an der Wand. Götz George, Günter Pfitzmann, Harald Juhnke. Alle mit Unterschrift. Thomas Gottschalk hat über sein breites Lächeln noch ein „Bussi, Hanni“ geschrieben. Mit allen ist sie schon einmal in einem Film aufgetreten. Auch mit Kristina Söderbaum, ohne die wäre die Galerie nicht vollständig.
Kristina Söderbaum war die Hauptdarstellerin in dem Film „Kolberg“ – der letzte NS-Propagandafilm, ein Durchhaltefilm aus dem Jahr 44. Veit Harlan, der Regisseur von „Jud Süß“, verfilmte die Geschichte der Verteidigung der damals zu Preußen gehörigen pommerschen Stadt Kolberg gegen die napoleonischen Truppen Anfang des 19. Jahrhunderts an Originalschauplätzen. Neben Söderbaum trat auch Heinrich George auf und in einer der Massenszenen auf dem Marktplatz die 17-jährige Kolbergerin Johanna Penski – als Statistin. Das war ihre erste Erfahrung mit dem Film. Und wie sie die zufällige Begegnung mit dem Aufnahmeleiter – „ein hübscher Kerl“ – kurze Zeit später im Zug nach Stettin schildert, hätte es durchaus weitergehen dürfen mit der Filmerei. „Ein sehr angenehmes Gespräch“, sagt Johanna Penski. Der junge Mann machte der jungen blonden Frau viele Komplimente und einige Hoffnung. Aber nur eine Visitenkarte blieb von der Zugbekanntschaft. Dann kam das Kriegsende, aus den Penskis wurden Vertriebene, und aus Johanna, die nicht nur für Filmstars schwärmte, sondern auch turnte, wurde eine Sportlehrerin.
„Wenn du in Rente gehst, wirst du Komparsin, hab ich mir immer gesagt“, erzählt Johanna Penski. 1987 war es so weit. Doch beim Künstlerdienst hieß es, Johanna Penski sei zu alt und deswegen nur schwer vermittelbar. „Aber was zählt denn das kalendarische Alter?“, fragt sie. Für sie zählt das geistige Alter. Und wie alt ist jemand, der noch immer Seniorensportkurse leitet, der viele Bekannte hat und sichtlich gern Besuch? Also suchte sie sich andere Agenturen und mit ein bisschen Geduld kamen auch die Engagements.
Johanna Penski hat eine Vorliebe für das humorige Fach. In Comedy-Serien wie „Mensch Markus“ oder „Die Wachmänner“ hatte sie schon über ein Dutzend Auftritte. Sie lässt sich eine Zigarette im Haardutt ausdrücken, und macht auch mit, wenn sie mit einem Liebhaber aus einem Lift steigen und sich den Schlüpfer richten soll. Ihr Sohn hat all die kleinen Szenen zu einem Video zusammengeschnitten, und so oft sie es sicher schon gesehen hat, sie lacht bei der Vorführung herzlich mit. Ihre Natürlichkeit, vermutet Johanna Penski, sei ihr Erfolgsrezept, und legt ihr Gesicht noch einmal in Lachfalten. „Ich versuche nie zu spielen. Auch beim Vorsprechen probiere ich immer so zu reden wie im richtigen Leben.“ Aber bei Sprechrollen, sagt sie, „sterbe ich noch immer tausend Tode.“
Trotzdem hat sie eine Hauptrolle übernommen. In dem Kurzfilm „Frau Senf, die Tür, der Zucker“ von Stefan Otto. Sie spielt eine alte Frau in einem Mietshaus, die mit der immer gleich lautenden Bitte um Zucker das Gespräch mit den Nachbarn sucht. Johanna Penski ist stolz, dass der Film im vorigen Jahr beim Jugendvideofestival in Dresden einen Hauptpreis bekam.
Sie genießt die Arbeit mit den jungen Leuten. Wenn sie beim Dreh einfach nur Johanna heißt. „Das ist einfacher.“ Wenn sie nicht in ganz so früh aufstehen muss, um noch die S-Bahn nach Babelsberg zu bekommen, sondern von einem Fahrer in einem alten VW-Bus abgeholt wird. Wenn sie eine richtige Rolle hat, und wenn es nur in einem Studentenkurzfilm ist.
Auch dass dann keine große Gage drin ist, macht Johanna Penski nichts aus. Das ist eben die Kür, das andere die Pflicht. Wenn sie als Statistin arbeitet, bekommt sie ohnehin nur rund 60 Euro am Tag. Bei durchschnittlich vier, fünf Drehtagen im Monat ist das auch für eine Rentnerin wie sie nicht viel mehr als ein Taschengeld. „Dabei gibt es Leute, die von der Komparserie leben müssen“, sagt sie mit Respekt.
Aber Johanna Penski hat schon noch ein paar Geschichten, wo sie sich als Komparsin die Zeit am Dreh nicht nur mit Kreuzworträtseln vertreiben muss, sondern Aufhebens um sie gemacht wird. Voriges Jahr ist sie zum Beispiel für zwei Tage für einen Dreh nach Wien geflogen. Nach der Landung am Flughafen Schwechat lief gleich ein Fahrer auf sie zu. „Der rief: ‚Schnell, schnell! Am Drehort warten schon alle auf Sie‘ “, sagt Johanna Penski. „Das war für mich ein ganz neues Erlebnis.“ Und dabei werden ihre Wangen noch immer etwas rot.