■ „Der Schlager bebt“ – Komponist Ralph Siegel („Ein bißchen Frieden“) schier verzweifelt wegen Guildo Horn: Einer darf nach Birmingham
Müßte dieses Jahr ein Produkt ausgezeichnet werden, für das die genialste Werbekampagne lanciert wurde, gebührt dieser Preis dem sogenannten Schlagersänger Guildo Horn. Der Mann, sonst Dauergast beim trashansprüchlichen „Wahren Grand Prix“, hat es dieses Jahr geschafft, wenigstens zum deutschen Vorentscheid beim echten Grand Prix d'Eurovision eingeladen zu werden. Sein Titel: „Guildo liebt euch alle“.
Das Problem ist nur: Menschen, die Schlager mögen, oder solche, die an die Botschaften von Poptexten glauben (zum Beispiel „Ein Hoch der Liebe“), hassen Guildo Horn und seine „Orthopädischen Strümpfe“. Nie im Leben würden sie ihn am kommenden Donnerstag per telefonischem TED-Votum als Sieger der zehn Lieder hervorgehen lassen. Zwar hat Guildo Horn ausdrücklich formuliert: „Zum Grand Prix muß jemand, der die Gefühle wirklich gelebt hat, von denen er singt. Denn der Grand Prix ist ein Wettbewerb der Herzen.“
Aber das nimmt bei den Grand-Prix- Fanclubs – die vollzählig nach Bremen wallfahren werden, um live dabeizusein – niemand ernst. Im Gegenteil heißt es, daß niemand am 9. Mai „für Deutschland nach Birmingham zum internationalen Ereignis singt“, so ein Mitglied des Grand-Prix- Fanclubs, „der unsere Gefühle verarscht“. Horn samt Manager wollten sich allerdings nicht kampflos geschlagen geben. Also kungelten sie, hört man, mit der Bild- Redaktion eine Kampagne aus – und zwar nicht für, sondern gegen Guildo Horn.
Der Erfolg war, wie gesagt, grandios: keine Talkshow, die Horn nicht beehren mußte, keine Zeitung, die nicht scheinempört darauf einstieg, daß ausgerechnet dieser häßlichste unter den Schlagervögeln „für Deutschland“ (Bild) starten könnte. Inzwischen dürfte der 44jährige Mann unter allen Grand-Prix-Vorsängern den höchsten Bekanntheitsgrad haben – was ein unschlagbarer Trumpf beim Televoting sein könnte.
Das wissen auch die Macher im Hause Jupiter in München. Jupiter? Dahinter verbirgt sich die Schlagerfabrik Ralph Siegels, des Mannes, der bis auf wenige Ausnahmen seit fast zwei Jahrzehnten stets bei der deutschen Grand-Prix-Liedauswahl siegte. Ihm wohl ist auch zu verdanken, daß die Bundesrepublik während der letzten Jahre stets auf hinteren Plätzen landete – 19. beispielsweise war im vorigen Jahr in Dublin die schmetternde Beamtin Bianca Shomburg mit ihrem nur noch Insidern erinnerlichen Song „Zeit“.
Eigentlich sollte Siegel dieses Jahr nur mit einem Lied vertreten sein. Doch er schaffte es gleich mit dreien – weil andere Plattenfirmen absprangen. Seit Guildo Horn seine PR-Maschine anwarf, soll der Komponist von Ein bißchen Frieden Angst haben. Ins Rennen schickt er zwei Gruppen, die er kürzlich erst gegründet hat. Für die läßt er nun in privaten Rundfunkstationen werben. Kurzfristig hat er ihm bekannte Journalisten angeheuert, um beispielsweise für die ostdeutsche Band „Köpenick“ die Trommel zu rühren – dümmlich spekulierend auf einen Ossibonus. Und seine Formation „Ball House“ hat handschriftlich verfaßte Postkarten an die Chefredaktionen der Republik schicken lassen: „Bitte drücken Sie uns die Daumen.“ Das nimmt sich gegen Guildo Horns Professionalität fast rührend aus.
Darüber hinaus ist das durch die Kuppelshow „Herzblatt“ bekannte Trio Die 3 Tenöre mit dabei. „Fokker“, eine Produktion aus dem Hause Annette Humpe, geht angeblich chancenlos ins Rennen. Der ausrichtende NDR buhlt vor allem um junge Zuschauer. Gott sei Dank, heißt es, läuft im ZDF „Der Große Preis“, das Quiz für Menschen im Vorruhestand. JaF
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