piwik no script img

Der Scheinheilige

Volker Kauder (CDU) ist die rechte Hand der Kanzlerin. Auf nationaler Bühne vertritt er ihre Politik. Aber was macht er in seinem Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen? Dort ist er der Mann von Heckler & Koch, der tödlichsten Waffenschmiede Europas. Jürgen Grässlin über einen tiefgläubigen Christen und Förderer von Rüstungsexporten

von Jürgen Grässlin

Die Republik glaubt Volker Kauder, den mächtigen Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zu kennen. Aber welche seiner Seiten kennt sie wirklich? Die des friedensbewegten Mahners vor einem militärischen Eingreifen der Bundeswehr in Syrien und Befürworter weiteren Zuzugs syrischer Kriegsflüchtlinge nach Deutschland? Oder die des Gastgebers des amtierenden Verteidigungsministers und die des Lobbyisten von Heckler & Koch?

In den letzten Wochen vor der Wahl hat der 64-jährige Christdemokrat ein Thema entdeckt, das immer Wohlgefühl erzeugt: Humanität und Frieden. Der Giftgaseinsatz in Syrien sei „ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewesen, „das nicht ohne Antwort“ bleiben könne, sagte Kauder im Brustton der Überzeugung. Dennoch dürfe sich Deutschland „auf gar keinen Fall an irgendwelchen militärischen Aktionen beteiligen“. Unser Land, so Kauder, werde seinen Beitrag im humanitären Bereich leisten. Klingt gut, bis zu 80 Prozent der Deutschen sehen das genauso.

Nicht minder begrüßenswert und mutiger ist seine Forderung, weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Sprich mehr, als die bisher von der schwarz-gelben Bundesregierung zugesagte Zahl von 5.000 Menschen, plus jene, die aus eigener Kraft Deutschland erreichen. „Diese Menschen haben schlimme traumatische Erfahrungen machen müssen, Deutschland kann ihnen Schutz bieten“, befindet Kauder und positioniert sich damit standhaft gegen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).

Die verfolgten Christen sind Kauder ganz wichtig

Auch in seinem Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, durch den er seit Wochen tourt, sind ihm die Menschenrechte wichtig, insbesondere das Thema Christenverfolgung. Darüber spricht er im heimatlichen Spaichingen genau so, wie er das im Berliner Tagesspiegel getan hat, dem er, anlässlich der Deutschlandreise von Papst Benedikt XVI., Grundsätzliches mitteilte: Dem Gedanken der Solidarität mit verfolgten Christen fühle sich seine Bundestagsfraktion verpflichtet, seine Partei habe das Schicksal der religiös Verfolgten zum Gegenstand von Debatten gemacht. „Dieses ,C‘ bedeutet auch, dass wir uns für verfolgte Glaubensschwestern und Glaubensbrüder einsetzen“, so Kauder unmissverständlich. Denn „Religionsfreiheit ist für uns eines der wichtigsten Menschenrechte.“

Das Problem ist, dass in keinem anderen Politikbereich Kauders Anspruch und Wirklichkeit weiter auseinanderfallen.

Vor genau vier Jahren stattete Franz Josef Jung, damals Bundesminister der Verteidigung, Europas Nummer 1 in der Produktion und dem Export so genannter Kleinwaffen, einen Besuch ab. Mit dabei im Oberndorfer Stadtteil Lindenhof: Volker Kauder. Der Gastgeber war Andreas Heeschen, Hauptgesellschafter der Heckler & Koch GmbH (H&K), mit deren Waffen unzählige Menschen verwundet, zeitlebens traumatisiert oder getötet wurden und werden.

Mit Holzgewehren können Soldaten nicht schießen

Heeschen bedankte sich im September 2009 erfreulich klar bei seinem Lobbyisten. Volker Kauder habe „immer wieder die Hand über uns gehalten“, so auch, „wenn es um Exportgenehmigungen ging“. Schließlich würden die Aufträge der Bundeswehr allein nicht ausreichen, der Export sei für Heckler & Koch von enormer Bedeutung. Auch Kauder ließ an seiner Einstellung keine Zweifel aufkommen. Schließlich brauche der Staat Soldaten und Polizisten, und „die können wir nicht mit Holzgewehren ausrüsten“.

Offene Bekenntnisse zur Rüstungsproduktion und zur Exportgenehmigung hört man in der Region rund um Oberndorf und Schramberg mit großem Wohlwollen. Sie sichern Arbeitsplätze. In der monostrukturierten Waffenstadt Oberndorf haben neben Heckler & Koch auch die Mauser-Werke, heute in Besitz von Rheinmetall Defence, ihren Stammsitz. Rheinmetall ist Deutschlands größter Hersteller im Großwaffenbereich.

Wie aber kann es sein, dass sich der H&K-Hauptgesellschafter Andreas Heeschen bei Kauder ausdrücklich für dessen schützende Hand bei Exportgenehmigungen bedankt? Weder als Mitglied des Bundestags noch als Fraktionsvorsitzender verantwortet Kauder politische Entscheidungen zur Ausfuhr von Kriegswaffen. Er war und ist auch nicht Mitglied im geheim tagenden Bundessicherheitsrat, der unter Führung der Bundeskanzlerin besonders brisante Rüstungsexporte – zum Beispiel nach Algerien, Israel, Saudi-Arabien, Katar oder in die Vereinigten Arabischen Emirate – bewilligt.

Einen Hinweis gab Kauder selbst. Noch im Jahr 2006 verkündete er auf seiner Homepage, er helfe gerne „bei der Abwicklung von Exportanfragen“. In den Jahren von 2003 bis 2007 exportierte H&K 9.652 G36-Sturmgewehre für mehr als 13 Millionen Euro nach Mexiko, in den Jahren danach noch weitere Bestandteile. Im „Schwarzbuch Waffenhandel“ habe ich nachgewiesen, dass 4.796 – also rund die Hälfte – dieser Kriegswaffen in die vier verbotenen Provinzen Mexikos gelangten.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Stuttgart, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Zollkriminalamt in Köln nach meiner Strafanzeige zwei Hausdurchsuchungen im H&K-Stammwerk durchgeführt haben, ist Kauder offenbar vorsichtiger geworden. Im Bundestagswahlkampf 2013 mied er einen öffentlichen Auftritt beim berüchtigten Gewehrproduzenten. Zudem tauchten G36-Sturmgewehre aus Oberndorf illegal im Russland-Georgien-Krieg und im Libyen-Krieg auf – entsprechend unpassend wäre ein Besuch bei den alten Bekannten auf dem Lindenhof gewesen.

In den Jahren 2002, 2003, 2006, 2007, 2008, 2009 und 2010 spendete Heckler & Koch jeweils 10.000 Euro an Kauders CDU im Kreis Rottweil. Keine der anderen Parteien erhielt derart hohe Zuwendungen von der Oberndorfer Waffenschmiede, die ihre Spenden als „Teil unseres gesellschaftlichen Engagements“ begreift.

Es darf angenommen werden, dass ein Engagement wie dieses förderlich ist, die Geschäfte zu beschleunigen. Denn normalerweise laufen die Waffentransfers von Heckler & Koch über das Bundesausfuhramt in Eschborn, das Bundeswirtschaftsministerium oder den Bundessicherheitsrat in Berlin unter der Ägide von Angela Merkel. Zumindest zu Letzterer sind die Wege kurz, schließlich gilt der Fraktionschef als „rechte Hand“ der Kanzlerin.

Auch im Wahlkampf 2013 bleibt Kauder seiner Linie treu. Wieder hat er den Verteidigungsminister in seinen Wahlkreis geladen. Diesmal Thomas de Maizière, der klare Worte spricht: Zum Aufgabenspektrum der Streitkräfte würden, so de Maizière, heute auch Auslandseinsätze zählen. „Die können gefährlich sein – Töten und Sterben gehören dazu“, verkündete der gebürtige Bonner bereits 2011 zu Hochzeiten des Kampfeinsatzes in Afghanistan.

Auch Verteidigungsminister de Maizière hilft gerne

In Sachen Waffenhandel ebnete de Maizière den Rüstungsproduzenten und -exporteuren auch in Kauders Wahlkreis den Weg: Die Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien halte er für legitim, das Land spiele eine große Rolle für die Stabilität im Nahen Osten. Daher sei die Stärkung der Stabilität Saudi-Arabiens „mit geeigneten Mitteln“ eine vernünftige Entscheidung.

Das kann den hohen Herren bei Heckler & Koch gefallen. Bekanntlich durfte die Waffenschmiede mit Genehmigung der Bundesregierung die lukrative Lizenz für das G36-Sturmgewehr vergeben und als Generalunternehmer einen „Waffenpalast“ auf dem Gelände des saudi-arabischen Rüstungsunternehmens Firma MIC errichten. Geschätzte Gesamteinnahmen: 250 Millionen Euro. Und auch die Rheinmetall AG mit den vormaligen Mauser-Werken profitiert. Mauser produziert die Bordkanone BK27 für den derzeit laufenden Exportdeal von 72 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter/Typhoon an die Militärs in Riad.

Waffen für Saudi-Arabien – an schlimmste Christenverfolger

Bliebe noch die Menschenrechtsfrage. Im Weltverfolgungsindex 2013 rangiert Saudi-Arabien – einzig übertroffen von Nordkorea – auf dem zweiten Platz bei den Christenverfolgungen. „Religionsfreiheit existiert nicht in dem wahhabitischen Königreich, in dem es den Bürgern nur gestattet ist, einer einzigen Religion anzugehören: dem Islam“, benennt der Weltverfolgungsindex die dramatische Lage. Weder sei der Schutz der Religionsfreiheit gesetzlich vorgesehen, noch existiere dieser in der Praxis. „Apostasie, der Übertritt zu einer anderen Religion, ist ein todeswürdiges Verbrechen – falls der ,Abtrünnige‘ nicht widerruft“, so die Analyse der Christenverfolgung in Saudi-Arabien.

Für de Maizière sind Menschenrechtsverletzungen, zu denen auch die Christenverfolgung zählt, kein Ausschlusskriterium für Waffenhandel mit den Machthabern auf der arabischen Halbinsel. So sei es „einfach zu sagen, Menschenrechte sind hier das alleinige Kriterium“. Aber das, so der Bundesminister der Verteidigung, „reicht nicht aus“. Ideal für Kauder, dass sein Gast de Maizière hier den Ausputzer gibt. Als „Wahlkampf-Höhepunkt“ hat er ihm am 11. September im Schramberger Bärensaal präsentiert.

Bleibt die finale Frage: Welche Strategie verfolgt Kauder mit seiner Doppelmoral? Die Antwort liegt auf der Hand: Will die „Christlich“ Demokratische Union die Bundestagswahl gewinnen, muss sie für alle wählbar sein – für werteorientierte Kirchgänger gleichermaßen wie für profitorientierte Manager der Rüstungsindustrie.

■ Jürgen Grässlin ist Autor des „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“. Er ist Sprecher mehrerer Friedensorganisationen und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ sowie Träger des Aachener Friedenspreises.