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■ Der Schatz des Priamos ist "vollständig und zweifelsfrei echt", jubeln Berliner Museumsleute gegenüber der taz, aber ob Schliemanns Fund je nach Berlin zurückkehren wird, ist umstritten: Auch Rußland...Zustand sehr gut, Zukunft unklar

Der Schatz des Priamos ist „vollständig und zweifelsfrei echt“, jubeln Berliner Museumsleute gegenüber der taz, aber ob Schliemanns Fund je nach Berlin zurückkehren wird, ist umstritten: Auch Rußland und die Türkei melden Besitzansprüche an

Zustand sehr gut, Zukunft unklar

Diesen 24. Und 25. Oktober 1994 wird Klaus Goldmann, Archäologe und Oberkustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, immer wieder nachträumen. Fast ein ganzes Berufsleben, über zwanzig Jahre lang jagte er jeder klitzekleinsten Information über den Schatz des Priamos weltweit hinterher, und dann durfte er das Objekt der Begierde endlich in der Hand halten. Im Konferenzraum des Puschkin-Museums und Stück für Stück. „Ich bin überwältigt“, sagt er zur taz, und am schönsten: „Der Schatz befindet sich in einem hervorragenden Zustand. Das Gold schimmert matt und trägt noch die Patina des vorigen Jahrhunderts. An einigen Stellen klebt wahrscheinlich noch die rote Erde von Troja“, die Erde, aus der Heinrich Schliemann den Schatz 1873 ausbuddelte.

Der beamtete Schatzsucher Klaus Goldmann, sein Chef, der Museumsdirektor Wilfried Menghin, der Oberrestaurator Hermann Born sowie Dolmetscher Burkhardt Goeres sind die ersten westlichen Wissenschaftler der Welt, die seit 1939 das unermeßlich wertvolle Gold sehen durften. Und mit ihnen am Tisch saßen russische Experten, die den Schatz ebenfalls noch nie sehen durften.

Die Präsentation war sehr feierlich, erzählt Klaus Goldmann, seit gestern wieder in Berlin. „Man brachte uns den Schatz nacheinander auf einem Tablett, und wenn wir ein Tablett untersucht hatten, wurde es wieder weggeschleppt.“ Warum sie die ganze Fülle der Diademe, Ohrgehänge, Goldketten, Armreifen, Anhänger, Gold- und Silberschalen – insgesamt 280 Objekte aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert – nicht als geschlossenen Fund auf einmal sehen konnten, weiß er nicht. „Vielleicht damit wir die Einzelteile des Schatzes besser mit unseren Verlustlisten vergleichen konnten.“ Diese Listen, insgesamt 33 Seiten, hatte das Museum für Vor- und Frühhgeschichte angelegt, als kurz nach Kriegsbeginn die „unersetzlichsten“ Bestände in drei Kisten verpackt wurden, um bis 1941 in einen Tresorraum der Preußischen Seehandlung, anschließend im Flakturm am Bahnhof Zoo ausgelagert zu werden. Von dort verschwanden die Kisten und mit ihnen Durchschriften der Packlisten im Juni 1945 in die Sowjetunion und waren fortan nicht mehr gesehen.

Das Geschmeide galt jahrzehntelang als verschollen, bis 1991 Klaus Goldmann anhand von russischen Ladelisten sowjetischer Militärlastwagen beweisen konnte, daß der Schatz 1945 in das Puschkin-Museum gebracht wurde. Aber erst 1993 bestätigte Boris Jelzin, daß er tatsächlich in Rußland liege und 1995 ausgestellt wird. Sehen durfte ihn bis Anfang der Woche trotzdem niemand, und die Spekulationen, ob das Gold tatsächlich Gold und vor allem noch vollständig vorhanden ist, schossen ins Kraut. „Er ist vollständig und zweifelsfrei echt“, jubeln jetzt die Wissenschaftler.

Die große Überraschung war, berichten Goldmann und Menghin, daß sie in Moskau sogar mehr Objekte gesehen haben, als auf den Verlustlisten notiert. In der Eile der Krieges hatten die damaligen Museumsmitarbeiter wohl geschlampt. Und wie weggewischt war die Sorge, daß eventuell die Mafia sich in den letzten Jahren Stücke des Schatzes unter den Nagel habe reißen können. Diese Befürchtungen grassierten, nachdem Teile eines angeblichen Troja- Ohrrings 1992 in den USA gesichtet worden sein sollen, und vor allem, nachdem die Mafia in diesem Jahr einem als Kunsthändler getarnten RTL-Journalisten den Albrecht-Dürer-Kupferstich „Maria mit dem Wickelkinde“ verkaufte. Denn auch dieses Werk, das vor dem Krieg in Bremen hing, wurde zusammen mit einer riesigen Sammlung der Bremer Kunsthalle als sogenannte „Beutekunst“ 1945 in die Sowjetunion verschickt. Bis auf diesen Dürer-Stich liegt alles heute noch dort.

„Für uns ist das Wichtigste“, meint Goldmann, „daß Schliemanns Sammlung Trojanische Altertümer jetzt wieder für die internationale Forschung zugänglich ist und daß die Bestände bald in einer großen Ausstellung gezeigt werden können.“ Die deutschen Wissenschaftler haben angeboten, bei der in Moskau für Ende 1995 geplanten Präsentation mitzuhelfen, die russische Seite will „jetzt darüber nachdenken“. Der Frage, wo das Gold nach dieser Ausstellung ruhen soll, weicht der Oberkustos aus. In Rußland, Deutschland oder dort, wo er gefunden wurde, in der heutigen Türkei?

Über die Eigentumsfrage wird in der nächsten Zeit mit Sicherheit ein heftiger Streit entbrennen. In einem deutsch-russischen Kommuniqué, das gestern die Stiftung Preußischer Kulturbesitz veröffentlichte, wird darauf mit keinem Wort eingegangen. „Die erste Erfahrung der gemeinsamen Arbeit der deutschen und russischen Expertengruppen hat gezeigt, daß es keinerlei Probleme und Vorbehalte von beiden Seiten, sondern eine völlige wissenschaftliche und freundschaftliche Übereinstimmung gab“, heißt es darin diplomatisch. „Die Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit der Expertengruppen sieht die Durchführung der notwendigen Gespräche in den entsprechenden Instanzen vor“, heißt es weiter. Das heißt im Klartext, daß die potentiellen Besitzer noch miteinander ins reine kommen müssen. Die deutsche Seite, vor allem das Bundesinnenministerium, unter dessen Federführung das deutsch-russische Kulturabkommen vom 16. Dezember 1992 zustande kam, pocht auf den Artikel 15 des sogenannten Dresdner Abkommens. Darin heißt es, daß verschollene Kulturgüter gegenseitig zurückgegeben werden sollen. Da Schliemann im vorigen Jahrhundert von einem griechischen Gericht verdonnert wurde, eine Entschädigung an das Osmanische Reich zu zahlen, sei der Besitz sanktioniert worden, argumentiert das Innenministerium.

Die russische Seite hingegen, zumindestens Jewgenij Strojew von der Rechtsabteilung der Akademie der Wissenschaften und gleichzeitig einflußreicher Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft, Kultur und Bildung des Föderationsrats, sieht dies völlig anders. „Wir sind niemandem etwas schuldig“, schrieb er im August in der Rossijskaja Gaseta. Seit 1949 habe die Sowjetunion 1,5 Millionen „Museumseinheiten“ an Deutschland und eine Million an Frankreich zurückgegeben, während sie umgekehrt so gut wie nichts erhalten habe. Der Gesamtschaden, der der „Kultur unseres Landes zugefügt wurde“, werde mit 1,3 Billionen US-Dollar beziffert, und die Kompensationen, die die Sowjetunion erhielt, seien „bisher winzig gewesen“. Und deswegen seien heute alle verschleppten Kunstwerke legaler russischer Besitz.

Dies ist eine Position, auf die auch Irina Antonowa, die heutige Hüterin des Schatzes, pocht. Auch sie begreift den Schatz des Priamos, den immer noch vermißten Goldschatz von Eberswalde, die Bilder der Bremer Kunsthalle und die vielen hunderttausend anderen vermißten Kunstschätze und Bücher heute als „Kompensation für erlittene Kriegsverluste“. Das will die deutsche Seite nicht akzeptieren, weil sie, so Goldmann, kein geraubtes russisches Kulturgut mehr besitze. „Alles, was uns bekannt ist, wurde zurückgeben.“ Die Maximalisten in Rußland würden mit ihrer Aufzählung vergessen machen wollen, daß Stalin zwischen 1928 und 1938 über 6.000 Tonnen russisches Kulturgut auf den internationalen Kunstmarkt geworfen habe. Sie würden Teile dieser Kunst heute als im Zweiten Weltkrieg vermißt deklarieren.

Die Türkei untermauert ihre Position mit der heutigen Gepflogenheit, archäologische Funde im Land der Ausgrabung auszustellen. Diese Haltung wird von dem Prähistoriker und heutigen Troja- Archäologen Manfred Korfmann geteilt, wohl deswegen hat ihn Irina Antonowa nach Moskau eingeladen, wo er heute eintreffen wird. Die deutsch-russisch-türkischen Besitzansprüche werden im Januar auf einer Tagung über „missing arts“ in New York verhandelt. Anita Kugler

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