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Archiv-Artikel

Der Riesling von Prenzlauer Berg

PROST Der Verein „Weingarten Berlin“ will die Tradition der Stadt als Anbaugebiet wieder aufleben lassen – mit Wurst und Riesling. Ein Besuch bei der Weinlese in Prenzlauer Berg

Berliner Reben

■ Einer der ungewöhnlichsten Weinstandorte Berlins ist der nördliche Tribünenhang des Stadions Wilmersdorf. Die „Wilmersdorfer Rheingau-Perle“ wird im Rheingau gekeltert.

■ Der „Kreuz-Neroberger“, ein Riesling, wächst am Fuße des Kreuzbergs. Der Weingarten liegt in der Methfesselstraße.

■ Etwa drei Kilometer nördlich des Kanzleramts, im Volkspark Humboldthain, ist der einzige Berliner Sekt zu Hause.

■ Bis 4. November läuft im Museumsverbund Pankow eine Ausstellung zur Berliner Weingeschichte.

Infos: www.berliner-riesling.de

VON SASCHA CHAIMOWICZ

Frank Pietschs Leidenschaft wächst am Fuße eines Neubaugebiets. Hunderte Stunden hat er sich dieses Jahr gekümmert, hat sie gedüngt, zurechtgestutzt, mit Pestiziden bespritzt. Irgendwann waren die Weinstöcke um ihn herum so groß, dass er das Vattenfall-Hochhaus kaum mehr sehen konnte, obwohl es nur ein paar hundert Meter weiter steht.

Pietsch ist Hobbywinzer. Zusammen mit zehn Weinliebhabern gründete er 2004 den Verein „Weingarten Berlin“. Das Bezirksamt Pankow stellte eine Brachfläche am Volkspark Prenzlauer Berg zur Verfügung, die etwa halb so groß ist wie ein Fußballfeld. Dazu besorgte das Grünflächenamt 400 Rebstöcke der Sorte „Riesling“.

Was man in Prenzlauer Berg kann, geht auch anderswo. Zehn „Weinberge“ gibt es in Berlin, etwa in Kreuzberg, Wilmersdorf und Schöneberg (siehe Kasten). Schon im 12. Jahrhundert bauten Menschen zwischen dem heutigen Weinbergsweg in Mitte und der Weinstraße in Friedrichshain Trauben an. Doch 1740, erzählt Pietsch, zerstörten Temperaturen von bis zu 40 Grad unter null die Reben. Es war das Ende Berlins als Weinanbaugebiet.

Über ein Vierteljahrtausend später geht Pietsch, der die alte Tradition wiederbeleben will, durch „seinen“ Weingarten und streicht über die grünlichen, rosinengroßen Riesling-Beeren. „Der Vorteil des Rieslings ist, dass man ihn sehr spät lesen kann“, erklärt er. Entscheidend für die Qualität eines Weines sind die Stunden, die er in der Sonne reifen kann. In der Pfalz, so Pietsch, könne man mit etwa 300 Sonnenstunden mehr rechnen. Das sei auch der Grund dafür, dass in Prenzlauer Berg vergleichsweise spät gelesen wird. „Wir versuchen noch die letzten Sonnenstrahlen zu erwischen.“

Der Tag der Lese am vorigen Sonntag ist für den Weinverein ein Tag zum Feiern. Ein älterer Herr spielt die Drehorgel, auf dem Grill liegen Würstchen. Etwa 30 Bekannte aus der Nachbarschaft sind trotz Regens gekommen um zu helfen: Mit Gartenscheren schneiden sie die Trauben am Stiel ab und lassen sie in graue Plastikkisten fallen. Gennadij Desatnik war schon letztes Jahr mit dabei. In seiner linken Hand hält er das fest, was dabei rausgekommen ist: den „Berliner Riesling 2008“. „Wenn man den Wein mit eigenen Händen gelesen hat, schmeckt der natürlich ganz besonders“, sagt er. Viel mehr sagen auch die anderen Gäste nicht über den Geschmack des Weines, den ein unvoreingenommener Gaumen wohl als säuerlich bezeichnen würde. Doch darum geht es nicht.

Zwei Männer laden derweil die grauen Kisten mit der 2009er-Lese in einen Lieferwagen. Von Prenzlauer Berg fährt er nach Proschwitz nahe Meißen, wo der Wein beim Prinzen zur Lippe gekeltert wird. Normalerweise holen die Berliner den fertigen Wein an dem Tag wieder ab, an dem sie die neue Ernte anliefern. Nur dieses Jahr sind sie drei Wochen früher zum größten privaten Weingut Sachsens gefahren. Nicht aus Ungeduld, sondern weil seit Wochen eine Ausstellung zur Geschichte des Berliner Weins im Pankower Museum läuft. Und dazu sollte es natürlich den Riesling aus Prenzlauer Berg zu probieren geben.

Dieses Jahr liegen etwa 900 Kilo Trauben in den Kisten. Letztes Jahr kelterten die Winzer aus etwa 1.000 Kilo Trauben 1.200 Halbliterflaschen, 600 gingen an den Verein, die anderen 600 ans Amt, das den Riesling verschenkt, etwa zu Jubiläen oder Geburtstagen.

Die Dimensionen des Berliner Weinanbaus bleiben also weiterhin bescheiden. Trotzdem ist den Aktivisten ihr Hobby mit Geschichte viel wert. „Wein verbindet einfach“, sagt Pietsch. Neben ihm entkorkt ein Mann eine Flasche. Auf dem Korken ist das alte Bezirkswappen von Pankow zu erkennen: eine Mühle, Hopfen – und Wein.