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Archiv-Artikel

Der Rest studiert bei McDonald’s

EXZELLENZINITIATIVE 180 Millionen Euro, fünf Jahre Zeit: Die Universität München wird zur Elite-Uni umgebaut. Forschungsstarke Bereiche bringen Geld und stehen glänzend da. Bereiche wie die Lehrerbildung siechen dahin

taz-Labor Bildung

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AUS MÜNCHEN ANNA LEHMANN

„Hier finden Sie keine Trottel.“ Thomas Carell blickt zufrieden um sich. Er blickt über den Tisch mit den Wissenschaftsmagazinen, das Doppelhelixmodell aus dem Fenster. Er ist in Feierlaune. Gerade hat der 44-jährige Chemieprofessor eine weitere Koryphäe per Unterschrift an sein Forschungszentrum verpflichtet. „Jetzt habe ich zum ersten Mal nach Wochen wieder Zeit zum Kaffeetrinken.“ Er hebt seine weiße Porzellantasse. Zum Wohl. Thomas Carell vertritt ein Exzellenzcluster der Universität München. Und Exzellenz heißt für ihn vor allem: „Geniale Köpfe, die zusammen auf einem Campus arbeiten.“ So spricht einer, der weiß, dass er dazugehört.

Die Ludwig-Maximilians-Universität in München ist eine der besten deutschen Hochschulen. Im Wettstreit um die deutsche Superuni, den noch die rot-grüne Bundesregierung auslobte, hat die LMU in allen drei Disziplinen abgeräumt: bei der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern, mit ihren Forschungsverbünden und mit ihrem Konzept, wie sie es in die internationale Spitzengruppe der forschungsorientierten Universitäten schaffen will. Nicht gleich in die amerikanische Champions League, aber in eine Liga mit europäischen Hochschulen wie den britischen in Oxford oder in Cambridge. Die LMU hat dafür 180 Millionen Euro und fünf Jahre Zeit bekommen.

Die Elite im Glasbetonbau

Das war 2006. Vier Jahre sind seitdem vergangen. Wer heute die Elite in München sucht, nimmt am besten die U-Bahn. Vom Marienplatz aus dauert die Fahrt eine knappe halbe Stunde. Umgeben von Feldern liegt der Campus Martinsried. Zum Büro von Thomas Carell geht es am gigantischen Universitätsklinikum vorbei, „dem Toaster“, wie sie es hier nennen, in einen Glasbetonbau in den vierten Stock.

Aus Sicht von Carell ist sein Forschungsverbund mit dem Namen Cips ganz oben angekommen. CIPS steht für Center for Integrated Protein Science, Integrierte Proteinforschung. „Wir sind outstanding, cutting-edge“, sagt Carell. Die Sprache der Exzellenz ist Englisch.

Um zu illustrieren, wie „herausragend“, „innovativ“ und „topaktuell“ die Proteinforscher sind, schlägt Carell das Magazin Nature auf. Den Cips-Forschern ist es gelungen, die Struktur des Enzyms Rubisco, das Pflanzen zum Wachsen antreibt, zu entschlüsseln. Und entscheidender noch: Sie haben ihre Ergebnisse vor den Forschern der kalifornischen Ivy-League-Uni Stanford publiziert.

„Hier gleiche Überschrift, gleiche Grafik“, sagt Carell. Er tippt triumphierend auf den Artikel im aktuellen Magazin Science. Darin steht: „CIPS schlägt Stanford.“

Oder David schlägt Goliath. Die Kalifornier haben im vergangenen Jahr 1 Milliarde Dollar allein für Forschungszwecke erhalten. Dagegen nehmen sich die Exzellenzmillionen der Münchener niedlich aus. 6,5 Millionen Euro aus diesem Topf gehen dieses Jahr an das Cips. „Doch wir haben das Geld klug angelegt“, sagt Carell. Den größten Betrag haben die Proteinforscher in Berufungen gesteckt – um jene genialen Köpfe aus Berkeley, Stanford und Harvard zu holen, die es laut Carell braucht, um Elite zu verkörpern.

Über zwanzig ProfessorInnen sind seit Beginn der Exzellenzinitiative dem Ruf nach München gefolgt, allein vier von ihnen hat Carell eigenhändig „massiert“, wie er sagt, also ohne Berufungsverfahren abgeworben. Im vergangenen Jahr stieß die Genforscherin Ulrike Gaul von der New Yorker Rockefeller University zum Cips, Dirk Trauner kam 2008 aus Berkeley – begehrte Namen in der Szene, deren Stellen nach Auskunft eines Sprechers bis zu einer Million Euro pro Jahr kosten können. Geräte, Gehalt und Mitarbeiter würden über das Ende der Exzellenzinitiative hinaus bezahlt.

Um die Exzellenzen zu finanzieren, haben die Münchener zusätzliche Quellen in Bund und Land erschlossen. Und sie haben sich eine spezielle Exzellenzdiät verordnet.

„50-40-10-Prozess“ nennen die Münchener die Umverteilungsmaschinerie, die die Leitung der Universität 2009 in Gang setzte. 50, 40, 10: das sind Vorgaben an alle Fakultäten. Diese sollten alle Professuren, die bis zum Ende der Exzellenzinitiative auslaufen, in drei Kategorien einteilen: 50 Prozent der Stellen können mit A bewertet werden und dürfen bleiben; 40 Prozent werden mit B versehen und überprüft; 10 Prozent fallen unter C und damit sicher weg.

Das 50-40-10-Konzept

Den elf Mitgliedern des Strategieausschusses, die die Vorschläge der Fakultäten im Juni 2008 begutachtet haben, hat das Präsidium zwei Arbeitsaufträge gegeben: Sie sollten die Konzepte danach bewerten, ob sie für die Exzellenzinitiative oder andere Sonderforschungsprogramme taugen. Und es mussten genügend Stellen wegfallen. „Gewünschte C-Priorisierung etwa 100 Stellen à 50.000 Euro“, heißt es in dem Papier auf Seite 3. Mindestens 5 Millionen Euro pro Jahr will die LMU also umschaufeln von unattraktiven zu forschungsstarken Bereichen. Bereiche, die wiederum Geld einbringen. So wie das Cips, das sowohl mit dem Chemiemulti Bayer/Schering als auch mit dem Konkurrenten BASF zusammenarbeitet.

Es gibt also Verlierer und Gewinner im großen Stellenroulette. So empfahl der Strategieausschuss, dass die Geowissenschaften um mehr als die Hälfte schrumpfen, die Physiker dagegen nur 5 Prozent einbüßen: „Die Erfolge der Fakultät in der Exzellenzinitiative sprechen für sich“, schreiben sie in ihrem Bericht ans Präsidium.

Der Präsident der Universität, Bernd Huber, verteidigt die hauseigenen Umwidmungen: „Jede Uni muss sich bei gegebenen Ressourcen die Frage stellen, in welchen Bereichen sie Schwerpunkte setzen will.“ „Bei gegebenen Ressourcen“ heißt: Irgendwo muss das Geld wieder eingespart werden. Huber versinkt bei diesen Überlegungen in seinem Sessel, der mit hellbraunem Leder bezogen ist, das an den Armlehnen schon etwas abgewetzt ist. Sein Büro ist groß, hell und schlicht.

Der nüchtern denkende Finanzwissenschaftler Bernd Huber hat die Universität München erfolgreich in den Exzellenzwettstreit geführt und will den Erfolg in der nächsten Runde wiederholen. Die beginnt 2012. Hubers Konzept ist buchhalterisch durchgeplant: „Wir haben uns aus einigen Bereichen zurückgezogen, um die Gegenfinanzierung für die neuen Felder erbringen zu können.“

„War der Kaffee gut?“, will Joachim Kahlert wissen. Der Dekan der Fakultät für Psychologie und Pädagogik schätzt den Kaffee bei Präsident Huber. Er selbst hat nur Wasser anzubieten. Die weniger elitären Fachbereiche sind in den Kastenbauten entlang der Leopoldstraße untergebracht, darunter auch Kahlerts Fakultät für Psychologie und Pädagogik. Hier ist man auch wieder im deutschen Sprachraum. Die Fakultät hat zwei Professuren abgegeben. Der Strategieausschuss hat das Konzept der Fakultät gelobt: „50-40-10-Konzept fast prozentgenau eingehalten.“

Die Zahlen stimmen, aber was ist mit den Inhalten? „Wir wurden ja nicht gefragt, was wir brauchen“, rechtfertigt Kahlert die Opferung der Tiefenpsychologie auf dem Exzellenzaltar. Also hätten sie Stellen genommen, die dem Fachbereich am wenigsten schaden. Um zwei ebenfalls zum Abschuss freigegebene Professuren für Grundschulpädagogik haben sie erfolgreich gekämpft: „Da gab es nichts mehr zu holen.“

Es sind nicht nur die Brillengläser, die Kahlerts sanfte Augen zum Funkeln bringen. „Ich sehe nicht, was die Exzellenzinitiative genützt hat.“ Seit 2002 ist die Zahl der Lehramtsstudierenden um ein Viertel gewachsen, Personal wurde jedoch eher abgebaut.

„Hier zeigt sich das Elend der Bildungsrhetorik“, sagt Kahlert und zückt eine Tabelle. In der Schulpädagogik, einem Fach, das alle zukünftigen LehrerInnen belegen müssen, teilen sich rund 1.500 Studierende einen Betreuer. „Gute Lehre und Exzellenz, das verträgt sich nicht“, schlussfolgert der Chef des Lehrerbildungszentrums.

Für die forschungsorientierte Exzellenzinitiative ist Schulpädagogik nicht interessant genug. Stattdessen ist das Munich Center for Learning Sciences, das Zentrum zur Erforschung von Lernprozessen also, mit zwei Professuren verstärkt worden. Hier werden Doktoranden ausgebildet und ausgewählte Studierende auf den Master vorbereitet.

Sebastian Urchs studiert in zwei Welten. Im Wintersemester 2009 ist er mit 16 anderen Studierenden in das Masterprogramm Neuro-Cognitive Psychology aufgenommen worden, parallel dazu schließt er den Diplomstudiengang Psychologie ab. Mit wehendem Schal rauscht er in das Büro der Studierendenvertretung. Er entschuldigt sich. Er sei im Stress, müsse gleich noch ein Referat vorbereiten.

Über das Masterprogramm ist er voll des Lobes. „Hier funktioniert Uni, wie sie soll.“

Der Kaffee für 1,39 Euro

Die Betreuung: „Superklasse. Ein Dozent für acht Studierende.“ Die Themen: „Sauspannend. Alles ist interdisziplinär angelegt.“ Die Dozenten: „International. Das sind Leute, die an den aktuellsten Forschungen arbeiten, und ich kann sie jederzeit ansprechen.“

Wenn er jedoch Veranstaltungen im Diplomstudiengang besucht, ist er als Student wieder an der Massenuniversität angekommen. „Die Vorlesungen werden zum Teil von denselben Dozenten gehalten, aber deren commitment lässt deutlich nach.“ In den Hörsälen sitzen bis zu 150 Studierende, Seminarplätze werden über Wartelisten vergeben, und es gibt kaum ergänzende Tutorien. Von der Exzellenzinitiative profitiere nur eine kleine Elite, sagt Urchs. „Der Rest von uns macht Massenstudium à la McDonald’s.“ Auch dort gibt es Kaffee: 1,39 Euro, im Pappbecher.