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„Der Reichstag gehört Ihnen!“

Mit mildem Lächeln, gönnerhaften Gesten und süffisanten Erklärungen empfingen Jeanne-Claude und Christo die Näherinnen des Reichstagskleids / Aber kann man die Falten mißverstehen?  ■ Aus Berlin Thorsten Schmitz

Mit dem Rücken zum Reichstag stehen 21 Frauen aus dem brandenburgischen Vetschau Spalier für die Ankunft von Queen and King of Polypropylen. Dieter Wergula, der geschäftsführende Chef der Schar, erteilt letzte Instruktionen: „Vielleicht könnt ihr ein freundliches ,Hallo' geben.“ Einen Busparkplatz in Spuckweite haben sie gefunden, Christo sei Dank, jetzt nur ja nicht den Samstag vormittag durch unterlassene Lächelleistung trüben.

Formvollendet und in einer Art Schwebezustand nahen Christo und Jeanne-Claude herbei und verbreiten, Hand in Hand, royale Heiterkeit. Jeanne-Claude kombiniert mildes Lächeln mit sanftem Augenaufschlag, hebt die Arme, als segne sie die Näherinnen des Reichstagskleids, und läßt es sich nicht nehmen, den taz-Fotografen anzufauchen und wegzuscheuchen: „Who are you? This is private! Go! Go! Go!“

Der Betriebsausflug der Spreewald Planen GmbH, die für eine halbe Million Mark Salär die Hälfte der Aluminiumplanen zusammengenäht und mit Gurten, Steckschnallen und überdimensionalen Knopflöchern bestückt hat, ist laut Protokoll kein offizieller Pressetermin. Bis zur letzten Minute bleibt unklar, ob die Schneiderinnen um die verpackte Reichstagsschachtel herumirren oder empfangen werden. Als die siamesisch gepolten Kunstverursacher, Christo und seine Christa, dann doch auftauchen, verliert die Sekretärin der Spreewald Planen GmbH die selbstauferlegte Contenance. Vor Freude reißt Hannelore Reschke beide Arme hoch und schüttelt mit den Händen ihr Aufgekratztsein weg. „Ich könnte zum Christo-Fan werden.“ Könnte? Die Präsenz der prominenten Auftraggeber versetzt die 21 Schneiderinnen in eine ähnliche Gefühlslage. Sie vergessen zu fotografieren.

Das Schönste an Christos Stückwerk war den Schneiderinnen die Gewißheit, Arbeit zu haben. Der Firma war es die letzten zwei Jahre „beschissen“ gegangen, wie Wergula sagt. Ob das eilig verschnürte Neo-Renaissance-Paket nun Kunst sei oder nicht – diese Diskussion leisten sich die, bei denen Soll und Haben im Gleichgewicht tariert. „Kunst kann viel sein“, schützt sich eine Näherin vor einer Meinung. So bemühen sich Christo und Christa und ein Simultanübersetzer, den Näherinnen die Bedeutung eines jeden Faltenwurfs zu erklären, als könnten die Frauen den verhüllten Reichstag mißverstehen. Hannelore Reschke knetet ihre Hände und nickt wie eine aufziehbare Puppe im Fünf-Sekunden-Takt. Gönnerhaft schließt Jeanne-Claude die Audienz und schenkt ein wenig selbstverdienten Glanz: „Der Reichstag gehört Ihnen! Seien Sie stolz!“ Die Frauen aus Vetschau sind es, aber sie lassen es sich nicht anmerken. Sie bilden sich nichts auf die Hülle ein, die 15.000 Haute-Couture-Abendkleidern entspricht, und laufen vor den Fernsehkameras davon. Sie fühlen sich belästigt von Mikrofonen und den Fragen nach dem eigenen Gemütszustand, weshalb sie sich in Einsilbigkeit flüchten. Das Betriebsfest am späten Nachmittag steigt auf sicherem Terrain. Im Ratskeller in Vetschau.

Am meisten erstaunt die Frauen, daß Zeichnung und Verwirklichung identisch sind. Christo und Jeanne-Claude hatten den Näherinnen zu Beginn des Tüftelwerks Drucke mit Original-Autogrammen geschenkt – um eine Vorstellung vom Verhüllen zu vermitteln. Nun sehen die Frauen das diffizile Wickelwerk – und staunen sparsam: „Daß das klappt, hätt' ich nicht gedacht“, sagt eine im rauschhaft geblümten Rock und hält ihr Erstaunen in fünf Polaroid- Fotos fest. Eine andere kuckt nach abstehenden Fäden und weiß genau, welche Plane – im Christo- Deutsch „Paneel“ – im sächsischen Taucha gefertigt wurde. Und Dieter Wergula hat ein Wort gepachtet: Die Laternen kommen seiner Ansicht nach aluminiumhalber besser zur Geltung („sehr beeindruckend“), die knallblauen Seile findet er hübsch („beeindruckend“), und der ganze nicht vorhandene Reichstag gefällt ihm ausnehmend, viel besser als im Fernsehen („beeindruckend“).

Die Näherinnen sind ein bißchen berühmt geworden, womöglich zahlt sich das aus. Nächste Woche wird entschieden, ob die Spreewald Planen GmbH für die Internationale Automobil Ausstellung im Herbst in Frankfurt am Main „etwas“ näht. Dieter Wergula glaubt, man habe ihm dieses Angebot nur deshalb in Aussicht gestellt, weil seine Firma eben „gute Arbeit“ leiste. Wahrscheinlich hat er recht.

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