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Archiv-Artikel

Der Prüfstand

Heute: Brauchen wir eigentlich noch … KLASSENTREFFEN?

Meine „Abi 93“-Bilanz: kein Kind, kein Hausboot, kein Typ und so ein richtig fester Job eigentlich auch nicht. Liebe Jahrgangsstufe meiner miefigen, kleinen Mistschule, nehmt es mir nicht übel, aber ich will euch auf gar keinen Fall wiedertreffen. Nicht nur weil es mit dem Auftrumpfen nicht klappen wird oder weil ich im Gegensatz zu dem Großteil meiner Klasse keine Lukasse und Chiaralunas in die Welt gesetzt habe. Sondern weil ich die Leute, die ich mochte, ohnehin immer weiter treffe und weil der ganze Rest, der mittlerweile mit seiner gescheiterten Heterosexualität geschlossen bei der Stadtsparkasse hinterm Schalter sitzt und auf einen festen Wohnsitz in Hürth-Hermühlheim spart, mich nie wirklich erregt hat.

Anders wäre das, wenn ein paar Lehrer aufkreuzten. Meine Französischlehrerin oder mein Sportlehrer zum Beispiel. Denen würde ich gerne mal sagen: Tut mir Leid, mein pubertärer Terror war nicht so gemeint. Tief in meinem Herzen bin ich eigentlich ganz gern in die Schule gegangen. Alexandra Kühne, Köln

Unbedingt. Klassentreffen wirken gruppenstabilisierend, dienen der Bestätigung von Vorurteilen und damit der Selbsterhöhung. Was einen beruhigenden Effekt auf die Psyche hat. Ein Narr, der denkt, man gehe auf ein Klassentreffen, um zu erfahren, was aus den ehemaligen Klassenkameraden geworden ist. Man redet auf Klassentreffen ohnehin nur mit denen, die einem früher schon sympathisch waren, und braucht die anderen nur, um sich an ihren Unzulänglichkeiten aufzugeilen. Welch süße Bestätigung, zu sehen, dass XY noch die gleichen hässlichen Karottenjeans trägt wie damals, dass XX inzwischen noch mal 15 Kilo mehr auf die Waage bringt oder YY noch immer bei seinen Eltern unterm Dach in Kleinunterhinterpinkelshausen wohnt. Welch ein Triumph zu erfahren, dass YZ inzwischen im 17. Semester Schlagzeug studiert, man selber es aber in nur 15 Semestern geschafft hat.

Die Lehre aus Klassentreffen: Es gibt immer noch einen Underdog, sei er beruflicher oder privater Natur. Welche Enttäuschung, wenn sich jemand tatsächlich zum Vorteil verändert hat, darüber wird dann diskret hinweggesehen. Auf Klassentreffen wird die selektive Wahrnehmung zur Meisterklasse getrieben. Sonja Schanzen, Berlin

Unsere nächste Prüfstandfrage: Brauchen wir eigentlich noch die LOVE PARADE? Antworten bitte bis Mittwoch an die tageszeitung, Brauchen wir?, Kochstraße 18, 10969 Berlin; Fax: (0 30) 2 59 02-6 54, E-Mails bitte nur an: fragen@taz.de