: Der Pollen ist politisch
Tagträumen bis zum Untergang: In ihrer Ausstellung „Doom Snoozers“ laden Matthias Böhler und Christian Orendt in eine dystopische Zwischenwelt ein, in der Menschen nicht mehr die mächtigste Spezies sind
Von Emilia Papadakis
Es brennt! Schuld ist eine Horde gehässiger Bäume, die mit Molotowcocktails in den Ästen durch eine Kleinstadtsiedlung triumphiert und ein Haus nach dem anderen anzündet. Rache für den menschlichen Zerstörungswahn? Zum Glück nur im Miniaturmodell des Künstlerduos Böhler & Orendt, in dem Flammen aus Wolle und Häuser aus Pappkartons bestehen.
„Doom Snoozers“ (übersetzt „Untergangsschlummernde“) heißt die Ausstellung der Künstler Matthias Böhler und Christian Orendt, die im restaurierten Backsteingebäude „Eierhäuschen“ im Ostberliner Spreepark gezeigt wird. Mit Drucken, kleinteiligen Skulpturen und Zeichnungen bauen sie eine dystopische Traumwelt, in der die Menschen längst nicht mehr die mächtigste Spezies sind. Stattdessen schlüpfen Besucher*innen in die Rollen nicht-menschlicher Wesen.
Dabei hilft Jill – eine virtuelle Siebenschläferin, die eigentlich die meiste Zeit des Jahres in einer Erdhöhle verbringt. In der Ausstellung ist sie aber ziemlich aktiv und hat als persönlicher „Dream Guide“ zu jedem Werk eine kurze Geschichte parat. Ihre sanfte, künstlich anmutende Stimme erklingt über einen Kopfhörer, sobald man nah genug vor einem Werk steht: „Während du dich fragst, ob sie jetzt nicht doch ein bisschen zu weit gegangen sind, beginnt es, dich in der Krone zu jucken“. Plötzlich ist man eine*r von ihnen, Teil des Rachefeldzugs.
Treffpunkt mit Jill ist der „Hutkiosk“ – ein wabenförmiger Betonpavillon mit überdimensionaler Baseballkappe als Dach und zugleich die erste Station für Besucher*innen: Hier können sie sich bunte, mit Kopfhörern verkabelte Baseballkappen schnappen, an deren Vorderseite ein runder Bildschirm angebracht ist. Aus diesem starrt einen Jill mit ihren schwarzen Kulleraugen und orangebraunen Borsten eindringlich an. Sie stellt sich vor, während man im Spiegel die Ausrüstung begutachten kann: „Ich helfe dir und den anderen Snoozers dabei, die realen Gegebenheiten, die ihr hier vorfindet, im Erlebnismodus des Träumens wahrzunehmen.“ Der gesamte Prozess hat etwas von Freizeitpark-Attraktion – und passt zum Ort.
Denn der Spreepark war zu DDR-Zeiten ein Vergnügungspark, der einzig ständige auf ostdeutscher Seite. Im Jahr 2001 musste er schließen und die Natur überwucherte die übriggebliebenen Attraktionen. Lange Zeit galt das Areal als „Lost Place“, bevor die Stadt 2016 Pläne für den Wiederaufbau vorstellte. Im Jahr 2027 soll der Park als „grüner Freiraum“ mit dauerhaften Kunstinstallationen und temporären Ausstellungen neu öffnen. Neben Architekt*innen und Ingenieur*innen sind auch Künstler*innen wie Böhler und Orendt bei der Gestaltung beteiligt.
„Sie wollen keinen Ausweg aus dem Dilemma zeigen, sondern komplexe Zusammenhänge erfahrbar machen“, beschreibt Kuratorin Ellen Blumenstein die Arbeit des Duos. Jills Erzählungen helfen, ihre Bilder zu einer Fantasiewelt zu verdichten. Das mache die Ausstellung auch für Kunstunerfahrene zugänglich, die zwischen Spreeufer und Plänterwald nur zufällig ins historische Gebäude stolpern, das gleichzeitig Ausflugslokal ist. Ein Willkommensteam aus drei Kunstvermittlerinnen steht bei Fragen bereit, den Rest erledigt Jill mit ihren „DreamKeep-Experiences“ – bis auf das Tagträumen, aber das passiert ohnehin automatisch.
Wie wäre es, als winziges Insekt über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden? Unterhalb eines kleinen Erdhügels hecken grellgelbe Spinnenwesen bereits einen hämischen Plan dafür aus. In ihrem Bau produzieren sie ein Giftkonzentrat aus Pestiziden, getarnt als gold-schimmernde Wunderpille. Jill fragt: „Wie sollst du dich nur entscheiden?“ Eine Etage tiefer wird heute abgestimmt: Sollen wir es dem Menschen mit seinen eigenen Waffen heimzahlen oder endlich die Spirale der Gewalt unterbrechen? Eins steht fest: „The Pollen is Political“ – so heißt es zumindest auf einem der blauen Mini-Wahlplakate, die an den Erdwänden des Insektenbaus hängen.
Die verspielten, detailreichen Modelle von Böhler & Orendt erinnern an harmlose Bastelarbeiten, sind aber eigentlich geschrumpfte Projektionen unserer absurden, zerstörerischen Lebensweisen. Aus Vogelperspektive erkennt man eine Spezies, die glaubt alles im Griff zu haben, während die Welt längst in Flammen steht. Der Titel „Doom Snoozers“ bringt diesen Widerspruch auf den Punkt: Wir zerstören und schlummern dabei seelenruhig weiter. Wie die lebensgroßen, gesichtslosen Figuren, überzogen mit einer glänzend-weißen Klebschicht, die sich zwischen den Installationen abgelegt haben. Bleibt die Frage: Mitschlummern oder endlich aufstehen?
Matthias Böhler und Christian Orendt: „Doom Snoozers“, Spreepark Art Space, bis 2. November
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