■ Der Papst wurde von „Time“ zum Mann des Jahres gekürt: Opus Dei läßt grüßen
Da werden sich Deutschlands Katholiken aber wieder mal sonstwohin beißen müssen. Gerade haben sie ihrem Papst, gestützt von Umfragen des ewigen Wojtyla-Widersachers Spiegel, klar gesagt, daß er im Grunde vom Christentum nix versteht – da ernennt ihn das US-Magazin Time zum Mann des Jahres, widmet ihm das New York Times Magazine eine eigene Titelstory. Ausgerechnet der Kontinent, der ihn wegen seiner Intransingenz, seinen vorgestrig erscheinenden Dogmen und seinem Mangel an Mitgefühl für Bedrängte und Unterdrückte besonders heftig abgelehnt hat, kürt ihn nun zur Persönlichkeit schlechthin.
Und schon antworten dem Zeitgenossen jene anderen Zeitgenossen, die dem Papste derlei Ruhm nun ganz und gar nicht gönnen. Italiens größte Tageszeitung zum Beispiel, der Corriere della sera. Der grummelt zunächst schon mal, die Wahl Karol Wojtylas sei dem „reinen Mangel an sonstigen Führungspersönlichkeiten“ zuzuschreiben, will sagen: unter Blinden eben der Einäugige. Und dann behaupten die Mailänder Blattmacher auch noch, die Wahl des Katholenhirten sei weder das Werk höherer Eingebung in redaktionelle Köpfe – wie man das bei einem Papste füglich erwarten könnte – noch sei es hinreichend abgesicherten Umfragen zu verdanken oder gar echten Verdiensten des Oberkatholiken, sondern einzig und alleine dem Wirken einer eher düsteren Organisation, des Opus Dei. Deren Mitglieder, die in den feinsten Etagen der Industrie-, Medien- und Finanzmanagements agieren, hätten unter Führung des Time-Mitarbeiters Greg Burke die etwas ratlosen Kollegen jenseits des Ozeans zum letzten Titelbild des Jahres überredet.
Derlei läßt freilich nichts Gutes ahnen. Denn Papst und Opus Dei haben sich offenbar seit jeher so stark gegenseitig bedingt, daß bis heute nicht klar ist, ob dieser Papst eine Kreatur von Opus Dei oder der Einfluß von Opus Dei ein Manöver des Karol Wojtala ist. Tatsache ist jedenfalls, daß das Opus Dei seinen steilen Aufstieg an die Spitze der Entscheidungsträger im Vatikan ausschließlich zu Wojtylas Zeiten zustandegebracht hat. Und so ist die Vermutung nicht abwegig, daß mit der forcierten Wojtyla-Laudatio der Wahlkampf für die Nachfolge des todkranken Pontifex maximus eröffnet wurde. Es gilt, beizeiten die Positionen „der“ Kirche festzuklopfen. Und wie könnte das besser geschehen, als wenn man die eigene Marionette noch einmal in aller Pracht und Herrlichkeit zum Maßstab aller Nachfolger macht? Werner Raith, Rom
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