: Der Papst war doch in Bremen
■ Eine trostreiche Stippvisite trotz Zwischenfällen am Osterdeich
Schließlich hatte der Papst doch ein Einsehen in den immensen Trostbedarf Bremens und kam – trotz engem Zeitplan – während seines Deutschland-Besuchs zu einer Stippvisite an die Weser. Um nicht die Vorurteile des kleinen Katholiken von der Straße gegenüber einem prunksüchtigen Vatikan weiter zu festigen, bestieg Johannes Paul II. gestern um 15.45 am Flughafen Bremen ein spartanisch ausgestattes Papamobil, eskortiert von neun Bikern der Motorradgang „Jennifer“, ein paar diskreten Bodyguards sowie einem Aufgebot an Kamerateams und FotografInnen. Den Fall des Heiligen Vaters über den ausgerollten Teppich als schlechtes Omen zu werten, wäre verfehlt und war nur Folge der betrüblichen Wetterlage in der Stadt.
Alles andere als trübe war die Stimmung ab 16 Uhr auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke. Dort wartete die katholische Minderheit Bremens wimpelschwenkend und geduldig auf den ersten Zwischenstopp des Papstes. An die 50 Gläubige – groß und klein – waren gekommen, um sich den Segen des Oberhauptes der katholischen Kirche zu holen. Und der wurde ihnen pünktlich zuteil, als Johannes Paul II., ungeachtet der langen Fahrzeugschlangen, die sich hinter der Eskorte bildeten, anhalten ließ, das – unverglaste (!) – Papamobil verließ und seinen Segen in die Runde versprühte: im lachsfarbenen Ornat in Bademantellänge, das papulum auf dem Kopf, in weißen Socken und in volksnahen Sandalen. „Johannes Paul II., wir sind auf deiner Seite“, skandierten die fröhlichen KatholikInnen im unverkrampften Duz-Ton, und sicherlich war es auch umgekehrt. Schon auf der belebten Wilhelm-Kaisen-Brücke, wo auch Unbeteiligte in den Bann von Gottes Stellvertreter auf Erden gerieten, war viel von dem Trost zu spüren, den die weiß behandschuhten Hände des Papstes ausstrahlten.
Häretiker gibt es freilich noch immer, doch was sich gegen 16.35 auf dem Osterdeich, Höhe Deichstraße, ereignete, muß als bedauerlicher Einzelfall gesehen werden. An einem Ampelstop überschüttete sich ein abtrünniger Gläubiger vor den Augen des Papste mit Benzin, und es war nur den feucht gewordenen Streichhölzern zu verdanken, daß sich sein Leib nicht in eine Flammensäule verwandelte. Wir wagen, immer eingenommener von der Weisheit Johannes Pauls, die Frage: Hat der Papst das geahnt und Bremen das Tief „Claire“ beschert, dessen kalt-feuchtem Klima kaum ein Zündholz gewachsen ist?
Souverän steht der Papst in seinem Papamobil, geduldig fährt hinter ihm die Kolonne den Osterdeich entlang: vier Nonnen in einem schwarzen Daimler mit Kühlerschaden, Berichterstatter, die knatternden Maschinen der „Jennifer“-Gang. PolizistInnen regeln den – für einen Sonntag ungewohnt stark sich stauenden – Verkehr – sie wissen, sie tun etwas für Bremen, für den Trost einer gebeutelten Stadt.
16.45 Uhr. Die Eskorte nähert sich ihrem Ziel, der Papst-Abstecher in Bremen seinem Höhepunkt. Wieder verläßt der Oberhirte in Höhe des „Hal Över“-Anlegers sein Fahrzeug, wandelt, die Arme stets segnend erhoben, gen Weser. Vollkommen ungeschützt. Man könnte ihn anfassen. „Wir sind auf deiner Seite“, schallt es wieder, aber auch der Ruf „Arschloch, Papst!“ ist vernehmbar. Die Nonnen streuen Blüten, gemischt mit Kondomen auf den schräg zum Schiffsanleger führenden Weg, den der Papst, würdevoll in Mimik und Gestik, herabschreitet. Unten wartet schon der Ritter Roland und bittet um den Segen. Johannes Paul II. tritt ihm entgegen. Und dann spricht er zu ihm, in langsamen, volltönenden Worten: „Mein Freund, die Zukunft ist auf deiner Seite.“ Und da ist unter den zahlreichen Schaulustigen am Weserufer kein Halten mehr: Der Glaube wurde belohnt, auch der an Bremen.
Die vollbärtigen Jungs von „Jennifer“ in ihren schwarzen Umhängen haben Spalier gebildet, durch das der Papst zielstrebig in Richtung Weser wandelt. Wird ihn, wie schon Jesus Christus zuvor, das Wasser tragen? Nein, die Weser trägt ihn nicht, aber der Papst setzt – würdevoll bis zum nassen Ende – seinen Weg fort, die Tiara lugt noch aus dem Wasser. Quo vadis, papa? Da nähert sich wie aus dem Nichts ein Ruderboot und birgt den durchnäßten Johannes Paul aus den Fluten. Eindrucksvoller hätte seine Visite in Bremen nicht enden können. Alexander Musik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen