■ Der Papst ruft in Sizilien zum Kampf gegen die Mafia auf: Zu spät entdeckter Nachholbedarf
Daß sich dieser Papst, der gewöhnlich seine Sinne mehr auf den Uterus der Frauen mit dem darin befindlichen Ungeborenen gerichtet hat als auf die Not der Menschen außerhalb des Mutterleibes, nun plötzlich zum Ankläger der Großgangstervereinigung Mafia aufschwingt – ja, „wer hätte das gedacht“, so entfährt es sogar dem notorisch antikirchlichen Il Manifesto. Nicht nur Hofberichterstatter kommen, wie La Repubblica anmerkt, „aus dem Staunen nicht mehr heraus, so massiv verurteilt Johannes Paul II. das Verbrechen, die Kultur der Gewalt, die Penetration der Politik durch Spekulanten und Dunkelmänner“.
Bei seiner eben laufenden Sizilienreise scheint er all das nachholen zu wollen, was er in fünfzehn Jahren Pontifikat versäumt hat. In böser Erinnerung ist noch immer, wie er 1982, nach der Ermordung des Anti- Mafia-Präfekten Carlo Alberto Dalla Chiesa und seiner Frau, die sizilianische Kirche im Regen stehen ließ und deren Exkommunikationsdekret wieder einsammelte. Die Linie des mit mafianahen Verbrechern verbandelten Leiters der Vatikanbank IOR, Erzbischof Marcinkus, hatte sich durchgesetzt – und so blieb es bis in die 90er Jahre hinein. Erst nach der Ermordung der Untersuchungsrichter Falcone und Borsellino begann der Umdenkungsprozeß des Pontifex maximus: Mafiaverbrechen, Bestechung, Korruption wurden im neuen Katechismus zu Todsünden erklärt – für Mafiosi ebenso wie für den Großteil der neuen Herrscherkaste Italiens eine Hürde, bauen sie ihr Image doch meist gerade auf zur Schau getragener Frömmigkeit auf.
Doch all das kommt zu spät. Nicht nur weil die Mafia nach zwei, drei Krisenjahren längst wieder auf dem Vormarsch ist, sondern vor allem weil der Papst, dieser vordem so einflußreiche Papst, kein Gewicht mehr hat. Wer ihn mühsam die paar Stufen vom Flugzeug auf den Boden Catanias hinabhumpeln, sein eingefallenes Gesicht, seine zitternden Hände sah, der weiß, daß Karol Wojtyla nicht mehr lange leben wird. Und schon lauschen die Auguren nicht mehr auf das, was der Papst sagt, sondern nur noch darauf, wie schwach seine Stimme bereits ist. In den Zeitungen rutschen die Anti-Mafia-Reden auf die hinteren Seiten – während die vorderen von Überlegungen geprägt sind, wer denn nun Nachfolger werden könnte und welche Fraktionen (Fortschrittliche, Gemäßigte, Ökumenier, Drittweltler, Ostkirchler, Kuriale, Pastoralier) sich dabei durchsetzen könnten.
Der Appell verhallt, die „richtige“ Exegese wird erst vom Nachfolger erwartet. Mafiosi und korrupte Politiker haben weiter Schonzeit, trotz der päpstlichen Wende. Werner Raith
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