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■ Der Papst kam über Berlin, 90.000 Fans jubelten. Zahlreich vertreten waren im Olympia-Stadion die Anhänger neuer Bewegungen, die keiner Diözese, sondern dem Vatikan direkt unterstellt sind.Blockbildung in der Arena

Der Papst kam über Berlin, 90.000 Fans jubelten.

Zahlreich vertreten waren im Olympia-Stadion die

Anhänger neuer Bewegungen, die keiner Diözese,

sondern dem Vatikan direkt unterstellt sind.

Blockbildung in der Arena

Der Papst ist dem Himmel nah im Olympiastadion von Berlin. Der dreistündige Gottesdienst wird zelebriert an einem Altar in 17 Meter Höhe. Er ist oberhalb des Marathontores aufgebaut, zwischen den beiden Gedenktafeln für die Olympischen Sieger von 1936 und den Portraits der Macher der Hitler-Spiele, Theodor Lewald und Carl Diehm. Etwa 90.000 Menschen sind gekommen, 40.000 weniger als erwartet. Es ist kalt an diesem Sonntag vormittag. Die vielen leeren Plätze im Olympiastadion sind augenfällig. Dennoch, als Johannes Paul II. mit seinem „Papamobil“ die Runde dreht, begrüßen ihn die Gäste mit schwingenden Fähnchen und Hochrufen. Nur die vom Knabenchor in Gang gesetzte Laola-Welle verebbt, bevor sie richtig begonnen hat.

Um 11.48 Uhr, kurz vor Beginn der Eucharistiefeier, spricht Papst Johannes Paul II. den Priester Karl Leisner, gestorben an den Folgen der KZ-Haft in Dachau, und den Domprobst Bernhard Lichtenberg, gestorben auf dem Weg vom KZ-Sachsenhausen nach Dachau, selig. 30 Sekunden dauert der Satz, der die beiden Hitlergegner zu Märtyrern erklärt und die jetzt nach katholischer Glaubenslehre von Gott in die „Zahl der Seligen“ aufgenommen, das heißt frei von Sünden gestorben sind. Die 30 Sekunden Seligsprechung durch einen Papst, der in Polen selbst unter den Folgen der Besatzung gelitten hat, gehen um die Welt.

Im Block 107 weint Wilhelm M. Er ist zum zweiten Mal in seinem Leben im Olympia-Stadion, diesmal mit einer katholischen Reisegruppe aus Kiel. 1942, auf Wehrmachtsurlaub, beobachtete er hier das Fußballspiel Vienna Wien gegen Schalke 04. Die Seligsprechung der beiden Nazigegner genau an diesem Ort ist für ihn das „bewegendste Erlebnis“ seines Lebens. Wilhelm M. nennt sich einen „undogmatischen Papst-Touristen“. Er verehre den Heiligen Vater, weil dieser sich wie kein Zweiter seit Leo XIII. [der sich 1889, in der Enzyklika Rerum novarum, mit der „Arbeiterfrage“ beschäftigte, d. Red.] der Soziallehre verplichtet fühle. Der Papst sei antikapitalistisch und antitotalitär. „Bei dem ganzen Geschrei über seine strenge Sexualmoral fällt das immer unter den Tisch.“ Die Frage, ob er jemals einen persönlichen Beitrag zur Empfängnisverhütung geleistet hat, beantwortet Wilhlem M. mit „Kindchen, lassen Sie das, sonst verabrede ich mich mit Ihnen heute abend.“

Künstliche Geburtenkontrolle, Kondome, Antibabypille: für Siglinde Bruns aus Würzburg sind diese vom Papst verteufelten Dinge kein persönliches Dilemma. Sie lebt im Zölibat, „in Liebe zu Jesus Christus“. Sie liebt auch Maria und „aus ganzem Herzen“ den Papst. Die 28jährige sympathische Hotelfachfrau gehört zu der weltweit riesigen Bewegung namens „Kommunion und Befreiung“, die aufgesplittert ist in verschiedene ordensähnliche Gemeinschaften. Ihre Mitglieder sind sehr zahlreich ins Olympiastadion gekommen, erkennbar an den vielen bunten Fahnen und ihren Transparenten.

Während die Amtskirche unter Johannes Paul II. immer mehr in die Krise steuert, die Anzahl der Kirchenaustritte die Anzahl der Taufen selbst in Italien übersteigen, wächst „Kommunion und Befreiung“ rasant. 30 Millionen Menschen werden ihr weltweit zugerechnet. Der Papst nennt ihre Mitglieder seine „persönliche Armada“ im Kreuzzug gegen den Zerfall der christlichen Werte, gegen die „Kultur des Todes und des Hasses“, wie er all diese Erscheinungen gestern wieder nennt. Und gegen die er die „Zivilisation der Liebe“ setzt. Kirchenkritiker bezeichnen diesen vom Papst gepflegten Dualismus als reaktionäre Theologie. Siglinde Bruns gehört der Gruppe „Gemeinschaft Emmanuel“ an. Sie darf sich „Schwester“ nennen. Die „Gemeinschaft Emmanuel“ wurde 1972 in Frankreich gegründet und 1992 vom Vatikan als „universale, private, mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Vereinigung von Gläubigen päpstlichen Rechts“ anerkannt. Wie all die verschiedenen Bewegungen, zu deren Umfeld auch Opus Dei gehört, hat sie ihre eigenen Regeln, ist streng hierarchisch organisiert, ist keiner Diözese unterstellt, sondern direkt dem Vatikan. In Deutschland hat sie nur etwa 450 Mitglieder, 80 von ihnen haben die Nacht zum Sonntag gewacht und gebetet. Sie dürfen auf den privilegierten Plätzen in der Mitte des Stadions sitzen.

Plaziert sind dort ebenfalls die Gläubigen der „Gemeinschaft der Seligpreisungen“. Hinter ihnen sitzen in einem eigenen Block die ultraorthodoxen „Neokatechumenaten“. Mindestens 1.000 von ihnen sind mit Bussen aus ganz Deutschland nach Berlin gereist, erkennbar schon von weitem an ihren neongrünleuchtenden Kappen. Als der Papst diesen Bewegungen ausdrücklich für ihr Bekenntnis zum Glauben dankt und sie zum Weltjugendtreffen 1997 nach Paris einlädt, will der Jubel nicht enden.

Wenn „Schwester“ Siglinde über ihre Liebe zum Papst spricht, über sein „überwältigendes Charisma“ und seine „Liebe zu allen Menschen“, die selbst über die Videoleinwand im Olympia- Stadion zu spüren sei, und über das „Pfingsterlebnis“, daß sie jeden Tag beim Abendmahl verspüre, unterscheidet sie sich nicht von einer Sektenanhängerin. Jede Begegnung mit dem Papst – und es ist nicht die erste – festige sie in ihrem Glauben. Sie würde sterben für ihn. „Wie es Karl Leisner und Bernhard Lichtenberg getan haben.“

Das Bedürfnis, Priesterin zu werden, hat sie nie verspürt, das Kirchenvolksbegehren ist ihr fremd, die Enzyklika „Von der Würde der Frau“ für sie hingegen eine Offenbarung. Sie betet jeden Tag, daß die „Kirchen-Krise“ aufhören mag. Am Nachmittag möchte sie sehen, wie der Papst durch das Brandenburger Tor schreitet. „Die Mauer“, sagt sie, „ist durch Gebete gefallen“.

Zum Brandenburger Tor möchte auch die polnische Reisegruppe aus dem schlesischen Ohlau. Dort wurde Bernhard Lichtenberg geboren. „Er ist der Beweis, daß es auch gute Deutsche gab“, sagt eine ältere Dame, die als Erkennungszeichen der Ohlauer ein blaues Tuch um die Schultern trägt. Insgesamt sind etwa 18.000 Polen zur Eucharistiefeier gekommen. Mit dabei ist Serge Wykowski, seine Frau Maria und ihre vier Kinder. Er will ihnen den Mann zeigen, der durch sein festes Eintreten für den Katholizismus „die Kommunisten fertigmachte“. Als er hört, daß ein „Anti-Papst-Konzil“ am Brandenburger Tor in einem „Sündenpfuhlspektakel“ eine „Gegenpäpstin“ küren will, ist er so entsetzt, daß ihm die Sprache wegbleibt.

Anita Kugler, Berlin

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