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Archiv-Artikel

Der Osten rückt näher

Ökolandbau ist für viele kleine Betriebe in Osteuropa eine wirtschaftliche Alternative im wachsenden Globalisierungsdruck. Die Zuwachsraten sind größer als im westeuropäischen Durchschnitt

VON JUTTA BLUME

Der ökologische Landbau in den osteuropäischen EU-Staaten verzeichnet seit Jahren traumhafte Zuwachsraten. So wuchs die Anbaufläche in Polen, Litauen, Tschechien und Rumänien 2007 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Fünftel. Natürlich ist der Bioboom auf zum Teil sehr geringe Ausgangsanteile zurückzuführen. Doch verallgemeinern lässt sich bei den osteuropäischen Biobauern wenig. So werden in Tschechien beispielsweise schon 8 und in Estland sogar 10 Prozent der Anbaufläche ökologisch bewirtschaftet.

Damit haben sie Deutschland mit rund 5 Prozent ökologischem Landbau in kürzester Zeit überholt. „Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass es in diesen Ländern weniger Vorbehalte gegen das ökologische Wirtschaften gibt“, meint der Agraringenieur und Geschäftsführer von Ekoconnect e. V., Bernhard Jansen. Der Verein vernetzt seit über fünf Jahren Hersteller und Händler von Bioprodukten aus Mittel- und Osteuropa.

Aber auch die Struktur der Landwirtschaftsbetriebe und fehlende finanzielle Mittel haben die Landwirte bewogen, den Schritt in die biologische Marktnische zu wagen. So bewirtschaften im Jahr 2007 beispielsweise in Polen rund 12.000 Betriebe 286.000 Hektar unter ökologischen Gesichtspunkten. Die Hälfte davon sind mit weniger als fünf Hektar sehr klein. „Diese Betriebe können nicht mehr der globalisierten Landwirtschaft mithalten, der ökologische Landbau ist daher eine gute Alternative“, so Jansen. Da sich viele Kleinbauern in der Vergangenheit kaum Düngemittel und Pestizide leisten konnten, sind ihre Böden zudem oft unbelastet.

Natürlich spielt auch die Förderpolitik der jeweiligen Staaten eine Rolle bei der Entscheidung für die Hofumstellung. So zahlen Tschechien, die baltischen Staaten und Polen zum Teil recht hohe Umstellungsprämien an ihre Bauern. Dieses Geld, das unabhängig vom Verkauf der Produkte gezahlt wird, gibt den Landwirten eine gewisse Sicherheit. So kann sich die Umstellung selbst dann lohnen, wenn Verarbeitungs- und Vermarktungswege für die entsprechenden Bioprodukte noch nicht erschlossen sind. In Tschechien, Estland und Polen müssen Rinderhalter Milch und Fleisch teilweise noch konventionell vermarkten, weil entsprechende Verarbeitungsbetriebe fehlen. Tschechische Bauern setzten insbesondere auf die extensive Weidehaltung, weil es in der Förderperiode bis 2007 besonders hohe Umstellungsprämien für Grünland gab. Inzwischen entwickelt sich aber auch eine entsprechende Verarbeitung: Auf der BioFach präsentieren mehrere Aussteller Biofleisch und -molkereiprodukte.

Dass allein die EU-Förderpolitik zur Umstellung führt, lässt sich aber nicht sagen. Die einzelnen Staaten haben einen eigenen Spielraum, die EU-Instrumente zu übernehmen und aufzustocken. Je mehr Fördergelder ein Land von der EU abruft, je mehr muss es auch aus eigenen Mitteln zuschießen. Trotzdem scheint der politische Wille zuweilen größer als in den alten EU-Mitgliedstaaten. „Man sieht an den Prämiensätzen, dass es den Ländern Mittel- und Osteuropas sehr ernst ist“, so Jansen. Polens Landwirtschaftsministerium fördert aber seit einigen Jahren auch die Verbraucherinformation und bewirbt seit zwei Jahren das EU-Biosiegel, in Polen eine grüne Ähre auf blauem Grund. Dies beinhaltet „ökologische Picknicks“ genauso wie Fortbildungen für Landwirte.

Den größten Entwicklungsbedarf sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung haben noch die Neumitglieder Rumänien und Bulgarien. In Rumänien hemmen gerade die ehemaligen großen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften den Einstieg ins Biogeschäft. Dort herrschen Monokulturen vor, nicht abgeschlossene Rückübertragungsverfahren erschweren die Planung, hinzu kam bis 2007 eine unstete Förderpolitik der Regierung.

Für den südlichen Nachbarn Bulgarien spielen nicht nur Lebensmittel, sondern auch die Naturkosmetik eine wichtige Rolle. So präsentieren auf der BioFach einige Aussteller biologisches Rosen- und Lavendelöl. In Zentralbulgarien werden bereits seit dem 18. Jahrhundert Rosen für die Öldestillation angebaut.

In Tschechien, Slowenien und Polen steigt die Nachfrage nach Bioprodukten seit einigen Jahren stetig. So gaben die Tschechen 2007 durchschnittlich rund fünf Euro für Bioprodukte aus. Das ist im EU-Vergleich wenig, doch die nötige Infrastruktur entwickelt sich. So vermarkten polnische Hersteller nicht nur unter dem staatlichen Biosiegel, sondern auch unter den Labeln verschiedener regionaler Anbauverbände, beispielsweise Oe!ko oder Demeter Polska.

Ängste vor einer Rohstoffschwemme aus Mittel- und Osteuropa weist Bernhard Jansen zurück: „Es gibt starke Bemühungen, in den Ländern eigene Märkte aufzubauen.“ Es kommt auch vor, dass bestimmte Produkte fehlen, so finden sich in polnischen Bioläden nicht wenige deutsche Marken. Zur besseren Vernetzung treffen sich jährlich Hersteller und Verarbeiter zum Organic Marketing Forum in Warschau.

Gegenüber der Leitmesse BioFach bietet dieses kleinere Forum den Vorteil eines spezifischeren Erfahrungsaustauschs. Im vergangenen Jahr trafen sich dort 330 Teilnehmer, für dieses Jahr erwartet Veranstalter Jansen 450 Anmeldungen.

Nicht zu vergessen bleibt, dass die Tradition der ökologischen Landwirtschaft auch in Osteuropa weiter zurückreicht als bis zum EU-Beitritt. 1989 entstand in Estland der biodynamische Verband, 1990 in Polen der Ekoland-Anbauverband. Die Kriterien der Pioniere waren zunächst strenger als die des EU-Biosiegels.