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Der Narr, der nach keiner Pfeife tanzte

Jürgen Kuttner und Tom Kühnel holen mit ihrer Thomas-Brasch-Revue „Halt’s Maul, Kassandra“ am Deutschen Theater den so schmerzhaft in Widersprüche verliebten Dichter und Filmemacher aus der Versenkung hervor und etablieren zugleich eine sich der eigenen Toxizität bewusste Liebe zur untergegangenen DDR

Von Tom Mustroph

Thomas Brasch war so eine Art Kleist der DDR. Hineingeboren in den preußischen Militäradel der eine, Kind des kommunistischen Funktionärsadels der andere, gingen beide durchs Mahlwerk einer Kadettenanstalt. Später wurden sie ausgespien aus den Systemen, spien sich in ihrem Ringen um Wahrhaftigkeit auch immer wieder selbst aus – und blieben gleichzeitig an das gefesselt, was sie geprägt hatte. „Wo ich lebe, da will ich nicht sterben. Aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin. Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“, lauten die berühmtesten Gedichtzeilen von Brasch. Sie tauchen in „Halt’s Maul, Kassandra!“ auf und hätten – in ihrem strengen Versmaß und ihrer inhaltlichen Unerbittlichkeit – ebenso gut bei Kleist stehen können. Kuttner und Kühnel ziehen sich und ihrem Ensemble – Mitregisseur Kuttner steht als eine Art Conferencier im Deutschen Theater auf der Bühne – mal eine schnieke Offiziersmontur, Zeitfenster 16. bis 18. Jahrhundert, mal eine konstruktivistisch angehauchte Clownstracht an (Kostüme: Daniela Selig). Das passt, denn sowohl Narr wie Elitesoldat des Geistes muss Brasch gewesen sein. Als „Fool“ in Shakespeare’scher Tradition sah sich der famose Shakespeare-Übersetzer, der in London zur Welt kam, gern selbst.

Vor allem macht die schlaue Kostümwahl Brasch zeitlos – so, wie er es in seinen Gedichten und Erzählungen auch ist. Die eigenen Konflikte misst er an denen der Antike. In einer Marsyas-Bearbeitung lässt er den laut Überlieferung zauberhaft Flöte spielenden Satyr, der von Apoll, dem Musikerstar unter den Göttern, erst gemobbt und dann gemordet wird, zum Underground-Rebellen mutieren, der sich den Bedingungen der Einstufungskommission verweigert. Wer denkt da nicht ans Zensursystem der alten DDR? Kuttner zählt als moderierender Narr die Theaterstücke Braschs auf, die verboten wurden. In der Marsyas-Episode verkörpern Mareike Beykirch und Anja Schneider als blau-grau gewellte Perückenträgerinnen im Stile Margot Honeckers die Jury, während Benjamin Lillie als Lyra-Star Apoll glänzt und Peter René Lüdicke den Flötenverweigerer gibt.

Noch deutlicher wird Braschs Ringen um künstlerische Selbstbestimmung in einem Videoeinspiel der Verleihung des Bayerischen Filmpreises, den er 1981 aus der Hand von Franz Josef Strauß erhielt. Das Video steht auch bei Youtube

In seiner Dankesrede adressiert Brasch den Hauptwiderspruch des modernen Künstlers: Geld für seine Kunst aus der Hand des Staates zu bekommen, den er mit seiner Kunst doch kritisiert. Diese gedankliche Schärfe setzt sich gewaltig von aktuellen Berliner Künst­le­r*in­nen ab, die zuvor die politischen Zustände bestenfalls moderat kritisiert hatten, nun aber in den hohen Jammerton verfallen, weil der Staat 10 Prozent von dem Geld nehmen will, das sie gewohnheitsmäßig als das Ihrige betrachten.

Biografische Episoden wechseln sich mit Szenen aus Filmen und Erzählungen Braschs ab. Geschichten über geplante Fluchten aus dem Osten werden mit Mauersongs aus dem Westen kombiniert. „Komm, wir lassen uns erschießen, an der Mauer Hand in Hand“ singt Lillie, und er interpretiert den Hit der Band Ideal fast schon in der schneidenden Falsett-Tonlage des noch größeren, aber schlimm verkannten Berlin-Sängers Heiner Pudelko. Rio Reisers „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist wiederum von der famosen Mareike Beykirch zu hören – alles in Begleitung der ebenso famosen dreiköpfigen Theaterband (Matthias Trippner, Tilmann Dehnhard, Jan Stolterfoht).

Eingestreut in den Abend sind Beiträge weiterer Geistesgrößen. Zur besten Kurzbeschreibung von 40 Jahren DDR adelt Kuttner Funny van Dannens Sternensong. „Wir schießen auf die Sterne. Schon wieder nicht getroffen. Entweder sind sie zu weit weg oder wir sind zu besoffen!“, wird lakonisch bilanziert. Fürs Düster-Tragische sorgt Sebastian Haffner. Kuttner und Kühnel gruben einen TV-Beitrag aus, in dem der exzentrische Publizist Zigarre qualmend von einem zur Staatsmacht zitierten DDR-Künstler erzählt, der angesichts seiner drohenden Ausweisung aus dem Land prophezeit haben soll: „Dann bin ich der Erste, der an der Mauer von vorn erschossen wird.“ Da öffnet sich kurz der Blick in die Abgründe jener Abhängigkeitsverhältnisse, denen auch die ausgesetzt waren, die die DDR als schlimme Schrumpfform gerechter Verhältnisse ablehnten, vom Glauben an die Möglichkeit gerechter Verhältnisse aber partout nicht ablassen wollten. „Halt’s Maul, Kassandra!“ ist ein wilder, zuweilen selbstverliebter und vor allem herrlich trotziger Abend.

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