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■ Der Moskauer Ausflug des Nebelstechers SchmidbauerGerüchte und Unterlassungen

Nach einer Woche billiger Sensationsmacherei in Sachen Plutoniumschmuggel ist es an der Zeit, nüchtern Bilanz zu ziehen. Zwar deuten insbesonders im Fall der vier in München verhafteten Passagiere zahlreiche Indizien darauf, daß das bei ihnen gefundene Plutonium aus Rußland kommt. Die Schwachstellen bei der Bewachung und Kontrolle der rund 180 Tonnen Plutonium in russischen Anlagen sind von genügend unabhängigen Wissenschaftlern und Umweltorganisationen des Landes bezeugt worden. Aber andere Herkunftsländer, selbst die „offiziellen“ Atommächte scheiden nicht aus. Auf alle Fälle ist Staatsminister Schmidbauer für klärende Gespräche mit Moskau der am wenigsten Geeignete. Die russische Regierung hat noch seine falsche Behauptung im Ohr, Präsident Jelzin habe Kohl gegenüber die Herkunft des in München beschlagnahmten Plutoniums aus russischen Anlagen bestätigt.

Noch mehr im Nebel als die Herkunfts- liegt die Nachfrageseite. Die vom CDU-Politiker Gerster in die Welt gesetzte Behauptung, der Bonner Regierung lägen konkrete Hinweise auf „interessierte“ Staaten vor, ist falsch. Der Hinweis auf Interessenten aus Terroristenkreisen paßt zwar gut zur Festnahme von „Carlos“, kann sich aber auf sonst nichts stützen. Nur Spekulationen gibt es schließlich zu der Frage, warum sich die Fälle der Aufdeckung von Plutoniumschmuggel in Deutschland zu konzentrieren scheinen. Zu der griffigen Formulierung von Deutschland als „Drehscheibe der internationalen Atommafia“ existieren nur magere Hinweise auf alte Stasi-Seilschaften. Aber auch der Verdacht, die Plutonium-Affaire sei nichts als eine gezielte Inzennierung deutscher Geheimdienste, genau so wenig erhärtet.

Die Lösung liegt nicht im Ausbau der Polizei-und Fahndungsapparate. Notwendig ist erstens schnelle, umfangreiche materielle Hilfe für die (Ex-) Beschäftigen in den Atomanlagen Rußlands und der anderen ehemals sowjetischen Republiken. Die 100 Millionen Dollar, die USA, EU und Japan hierfür bislang bereitstellten, sind „peanuts“. Zweitens müssen die fünf „offiziellen“ Atommächte gegenseitige Kontrollen ihrer zivilen und militärischen Anlagen vereinbaren, besser noch: diesselben Kontrollen durch die Wiener Atomenergiebehörde zulassen, die auch für die anderen 159 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrages gelten. Jeder Versuch, das Problem auf Rußland zu verengen und nur dort kontrollieren zu wollen, wird scheitern. Zumal wenn er von Deutschland betreiben wird, dessen Firmen und Forschungslabors in den letzten 20 Jahren zum Teil mit Wissen und Duldung Regierung und unter Verstoß gegen den Sperrvertrag die entscheidene Technologie und das Know How für die Atom-und Chemiewaffenprogramme zumindest Südafrikas, Iraks und Lybiens geliefert haben. Andreas Zumach, Genf

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