■ Der Moderator Lutz Bertram war Stasi-Mitarbeiter: Aufklärung über den Aufklärer
Lutz Bertram, der Kultmoderator des Ostdeutschen Rundfunks, hätte stilbildend werden können. Allmorgendlich durfte eine wachsende Fangemeinde in Berlin und Brandenburg miterleben, wie der blinde Moderator praktizierte, was sich viele seiner Kollegen längst abgewöhnt haben: harte, ausführliche Interviews zu den kontroversen politischen und gesellschaftlichen Themen des Tages – zum Wachwerden. Weil es ein Ostdeutscher war, der da mit zangenartigen Fragen den Politgrößen, ob West ob Ost, zu Leibe rückte, hat sein Programm ganz nebenbei auch noch dem Selbstbewußtsein seiner Hörer gutgetan. Ostdeutsche Desorientierung? Sinnkrise? Zukunftsangst? Jeden morgen gelang Lutz Bertram ein eindringliches Dementi.
Damit ist es vorbei. Lutz Bertram, der Meister der Transparenz, war IM. Die Fragen, die er bislang anderen stellte, muß er selbst jetzt beantworten. Er wolle nichts „vermauscheln“, nicht wie die vor ihm Enttarnten mit seiner IM-Tätigkeit umgehen, lautet sein Anspruch. Eingelöst hat er ihn, am Samstag abend vor laufenden Kameras, nicht. Wie seine Vorgänger hat auch Bertram erst „darüber“ geredet, nachdem die Gauck-Behörde fündig geworden war. Wie in früheren Fällen erfährt man nicht, worin seine Informationsdienste bestanden haben, wie umfangreich über wen und was er dem MfS berichtet hat. Das relativiert sein abstraktes Zugeständnis, wer für die Stasi gearbeitet habe, habe „großen Schaden“ angerichtet.
Wie groß und welcher Art der Schaden im Fall Bertram gewesen sein könnte, läßt sich nicht beurteilen. Die Frage, die sich aufdrängt lautet: Wie konnte er seine Interviews führen? Etwa mit Gregor Gysi, den er in Sachen Stasi in die Enge trieb. Gerade weil Bertram nicht als Zyniker interviewte, bleibt unerfindlich, woher er die Kraft bezog, die jetzt an ihn gerichteten Fragen in der Rolle des Integren und Unbestechlichen anderen zu stellen. Darin steckt mehr als Verdrängung. Unweigerlich kommt einem Ibrahim Böhmes Wort in Erinnerung, der, mit den Beweisen seiner IM-Tätigkeit konfrontiert, antwortete: „Das ist nicht meine Wirklichkeit.“
Darf Bertram weiter moderieren? lautete die Frage, die sich den ORB-Verantwortlichen stellt. Doch eigentlich muß es heißen: Kann Bertram weitermachen, weiter fragen in seiner unnachahmlichen Art? Wohl kaum. Doch Bertram hat die Frage seiner journalistischen Zukunft jetzt an seine Hörer weitergegeben. Es würde nicht überraschen, wenn sie ihn eindrucksvoll ermutigen und damit auch das Dillemma der Stasi-Aufarbeitung weiter verschärfen würden: Was verspricht diese Aufarbeitung, wenn ihr auch noch die wenigen ostdeutschen Hoffnungsträger zum Opfer fallen? Oder doch: Was sind das für Hoffnungsträger, die den kritischen Blick in die Vergangenheit nicht überstehen? Matthias Geis
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