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Der Millionenschuß

Nach dem Uefa-Cup-0:1 in Teneriffa fürchtet Schalkes saurer Manager Rudi Assauer um Finale und Geld  ■ Von Philipp Selldorf

Santa Cruz/Teneriffa (taz) – Als der englische Schiedsrichter David Elleray mit dem letzten Pfiff den Schlußpunkt im Estadio Heliodoro Rodriguez López setzt, scheint sich für die Spieler des FC Schalke 04 ein bitteres Schicksal erfüllt zu haben. Einige, wie Jens Lehmann und Ingo Anderbrügge, schlagen fassungslos die Hände vors Gesicht; andere, wie Jiri Nemec und Mike Büskens, lassen sich auf den Rasen nieder und ergeben sich minutenlang ihrem inneren Elend.

Schalke hat das Hinspiel im Uefa-Cup-Halbfinale beim Club Deportivo Teneriffa 0:1 verloren – eigentlich kein Grund zum Verzweifeln, sondern ein Resultat, das alle Hoffnungen offenläßt, erstmals in der Klubgeschichte ein Europapokal-Finale zu erreichen. Doch Verlauf und Wendungen dieser aufregenden Begegnung waren so erstaunlich, daß auch die knappe Niederlage die Schalker zutiefst entsetzen mußte.

Wenn eine Elf nicht imstande ist, einen Gegner zu schlagen, dem nach zwei Platzverweisen beachtlich lange nur neun Akteure zur Verfügung standen, muß sie sich schon ärgern. Aber wenn sie auch noch einen Elfmeter vergibt und reihenweise hochklassige Chancen ausläßt, dann gibt es Anlaß zu dunklen Ahnungen. Einige vermochten das nicht zu verbergen. Man konnte es lesen in Mike Büskens' Gesicht und hören in den Worten von Torwart Lehmann: „Ich weiß nicht, ob diese Chance wiederkommt.“

Kurioserweise muß Schalke andererseits froh sein, daß Teneriffa bloß ein einziges Tor erzielte. Denn nach dem frühen Rückstand durch Felipes Strafstoßtreffer deutete sich für die Mannschaft – wegen des Verlusts der Stürmer Max und Mulder ohnehin in schwierigem seelischem Zustand – Schlimmes an. Ausgangspunkt war ein Elfmeter, den Manager Rudi Assauer als „eine einzige Lachnummer“ wertete. Teneriffas großartiger Stürmer Juan Castano Quiros, genannt Juanele, hatte den Fall sichtbar mit beiden Händen in den Lauf gelegt – Aussauer fühlte sich an einen „Schaufelbagger“ erinnert – und sich dann nach einem Rempler von Olaf Thon strafstoßgerecht fallen lassen.

In der Phase nach dem 1:0 schien CD die Forderung der Sportzeitung Marca nach einem tüchtigen „Riki Raka“ einlösen zu wollen. Das muß man sich offenbar als flammendes Inferno vorstellen: Um Riki Raka zu illustrieren, versetzte das Blatt Teneriffas höchsten Berg, das lokale Naturwunder Teide, in den Anstoßkreis des Estadio Heliodoro und ließ ihn Feuer speien und Lava vergießen.

Diese Verheißung aber erfüllte sich ebensowenig wie Marcas Schalker Mannschaftsschema, das gleich zwei Spieler namens de Kock vorsah. Oder ahnte die Zeitung, daß de Kock unbedingt die tragende Rolle in diesem „Herzinfarktspiel“ (Thon) übernehmen wollte? Nach 73 Minuten – Elleray hatte jetzt auch den Schalkern einen Elfmeter überlassen – ergriff der holländische Verteidiger die Macht über den Ball. Eine Art von Scheindebatte folgte. Zwar fragte er die beiden anderen potentiellen Strafstoßschützen Thon und Anderbrügge, ob sie denn vielleicht den Job übernehmen wollten, doch das geschah wohl nur der Höflichkeit halber. „Johan hatte den Ball unter dem Arm und gesagt, daß er schießen will. Damit war die Sache klar“, berichtete Anderbrügge hinterher.

Der Rasen im Heliodoro wird auf Geheiß von Teneriffas Trainer Jupp Heynckes gepflegt wie ein Heiligtum, doch de Kock – nach eigenem Bekunden „locker und entspannt“, zudem erfahrener Strafstoßschütze – brachte es fertig, „mit dem Standbein wegzurutschen“ und eklatant stümperhaft zu verschießen. Assauer erläuterte, der Holländer habe „beim Spannschlag verkantet“, was aber nicht mit Verständnis verwechselt werden darf.

Mit dunklem Unterton sprach der Manager vom verpaßten „Millionenschuß“, und es klang, als ob er schon hochgerechnet hatte, was de Kocks Fehlleistung kosten kann.

Gemach, noch kann man alles umbiegen. „Im Parkstadion haben wir viermal zu Null gewonnen“, gab zum Beispiel Thomas Linke schon wieder optimistisch zu Protokoll. Eines aber darf auf keinen Fall geschehen: „Wenn es Elfmeterschießen gibt“, meint Rudi Assauer, „dann müssen wir uns was einfallen lassen.“

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