: Der Mey ist gekommen
■ Berlin erlebte das 17. Internationale Sprinter-Meeting im Eisschnellauf/ Hoffnungsträger des deutschen Eislaufs ist Olympiasieger Uwe-Jens Mey
Wilmersdorf (taz) — Alle Augen ruhen auf Wilmersdorf. So läßt sich der Neubeginn des vereinten deutschen Eisschnellaufsports umschreiben. „Das Sprinter-Meeting“, freut sich Obmann Roland Hagemann vom Berliner Eisverband (BEV), „ist der erste Höhepunkt der Saison.“ Lang ist es her, daß bundesrepublikanische Kufenflitzer für Furore sorgten. Erhard Keller, Olympiasieger 1968 und 1972 über 500 Meter, mußte noch als arrivierter Kiefer-Klempner der internationalen Konkurrenz die Zähne zeigen. Die bohrenden Blicke der neidischen Youngster im nationalen Warteraum waren ihm gewiß. Monika Holzner hieß seine einzig wahre Nachfolgerin vom anderen Geschlecht. Sie gewann 1972 olympisches Gold über dieselbe Distanz, verlor sich dann aber in den Annalen des Eisschnellaufs, weil sie wegen zweier Ehen verschiedene Nachnamen annahm und ihren Sport etwas schleifen ließ. Danach herrschte Ebbe.
Alle Augen richten sich nun auf den neu-deutschen Shooting-Star: Uwe-Jens Mey vom 1. SC Berlin. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Calgary gewann der 27jährige Gold über 500 Meter in Weltrekord-Tempo (36,45 Sekunden). Aber anders als sein sprintendes Ahnenduo, das im oberbayerischen Eislauf-Kaff Inzell zu Weltstars geformt wurde, ging Mey andere Wege. Wen wundert's: Der gebürtige Warschauer (!) kommt — wie die meisten Hoffnungsträger der vereinten deutschen Eislauf-Gemeinschaft — aus dem Auslaufmodell DDR.
Highnoon im Eisstadion Wilmersdorf. Gleich im ersten Lauf über die 500-Meter-Distanz startete Mey gegen den Österreicher Andreas Franzelin. Schon nach den ersten Schritten zeigte der schnelle Uwe- Jens seinem Kontrahenten: „Felix Austria“ ist nur noch Statist. So wuchtig schoß der Berliner in die erste Kurve, den Oberkörper knapp über die kräftigen Oberschenkel gebeugt. Selbst der elktronischen Zeitnahme schien dies zuviel zu werden. Sie versagte den Dienst. Vielleicht hätte der Veranstalter ein AWACS- Frühwarnsystem leasen sollen, um den heranstürmenden Ausnahmeathleten zeitlich zu erfassen. Auf der langen Gerade jagte der Olympiasieger mit bis zu 50 Stundenkilometern der letzten Kurve entgegen. Zwei, drei Sidesteps, und Uwe-Jens Mey schoß auf die Zielpiste, deren Ende er nach 37,72 Sekunden erreichte. Sein Gegner, der keiner war, brauchte zwei Sekunden mehr. Im Eislaufsprint eine Ewigkeit.
Auch der Rest des Starterfeldes kam an diese Glanzleistung des neuen BRD-Aushängeschildes nicht mehr heran. Der international zu beachtende Holländer Arie Loef schlidderte 38,40 Sekunden, BRD- Mitläufer Uwe Streb 38,63.
Obmann Hagenmann hatte am Rande der Piste gut lachen. Zwar blieb der Zuschaueransturm am Samstag trotz schönsten Laufwetters aus. Doch mit Mey und dem restlichen DDR-Troß aus Berlin oder Erfurt steigt der Marktwert des Eisschnellaufortes an der Spree beträchtlich. Die Tage Inzells, dem Kuhdorf am Rande der Alpen, das von den Kufenflitzern lebt, sind gezählt. Der „Keller der 90er Jahre“ befindet sich oben, hoch im preußischen Norden. Jürgen Schulz
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