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Der Mediaspree-KritikerCoverstar der Protestbewegung

Carsten Joost hat eine alternative Bebauung des Tacheles entwickelt und gegen den Abriss des Palasts der Republik gekämpft. Nun ist der Architekt, der von Hartz IV lebt, die Stimme von "Mediaspree versenken!" Sonntag ist Tag der Entscheidung

Bei Carsten Joost ist möglich, was viele für unmöglich halten: Er ist Workaholic und auf Hartz IV. Wer sagt, das sei ein Widerspruch, der irrt - nicht nur bei Joost. Aber hier geht es nicht um die Mühen der Arbeitslosen im Allgemeinen, sondern um den 43-Jährigen. Und der macht und tut. Er steht vor Kameras, sitzt in Meetings, auf Podien, in Talkshows, spricht auf Demonstrationen. Er hat seine Augen hier, seine Ohren dort. Selbst die zu Berge stehenden Haare scheinen auf dem Sprung.

Kurz vor dem Bürgerentscheid in Sachen "Mediaspree versenken" ist der agile Mann, der alles Nötige in den Taschen seiner Hose verstaut, sowieso nicht zu stoppen. Das wäre auch schwierig. Denn was eine Gruppe von Aktivisten und Aktivistinnen vor ungefähr zwei Jahren mit dem Rücken zur Wand losgetreten hat - nämlich die Kritik an der Verbauung und Verdichtung öffentlicher Stadt- und Flussräume mit Großprojekten in Kreuzberg und Friedrichshain - ist heute eine der größten Protestbewegungen in der Stadt.

Joost, der seine Hartz-IV-Bezüge als Aufforderung versteht, dem Gemeinwesen etwas zurückzugeben, eben Engagement für mehr Bürgersinn, ist zum Frontmann der Bewegung avanciert. Eloquenz und Sachkenntnis haben dies möglich gemacht. Angst vor der ersten Reihe hatte er auch nicht. Wer ihn treffen will, teilt seine kostbare Zeit jetzt in der Phase des Countdown vor der Abstimmung mit weiteren Journalisten. Popstar Joost, eben. Es passt zu ihm, denn Schlagzeug spielt er auch.

"Spreeorchester" heißt die Band, zu der er gehört. Ihr "Mediaspree-versenken-Song" schildert, wie schön es heute noch an der Spree ist: "Raus ans Wasser, mitten in der Stadt, dort wo die Bäume stehen, heimlich und krumm. Wir spielen Verstecken oder irgend watt, und alte Schiffe rosten braun und stumm." In der nächsten Strophe indes malt die Punk-Hymne das zukünftige Schreckensszenario aus: "Stahl und Glas, Beton und Asphalt, das letzte Fleckchen Grün, machen sie bald kalt." Joost meint, Leute, die den Song hörten, seien gerührt.

Dabei weiß auch er sehr genau, dass die Geschichte um das Großbauprojekt Mediaspree komplizierter ist, als dass es so leicht in Gut und Böse, in Die und Wir gepackt werden kann. Denn die Planungen zur Bebauung des Spreeufers, das Kreuzberg und Friedrichshain trennt, begannen bald nach dem Fall der Mauer 1989. Damals herrschte Goldgräberstimmung in Berlin. Investoren locken und Geld machen, war die Devise. Den Bodenschatz, den es auszubeuten gab, war im Wortsinn: Berliner Boden. Weil die Mauer mitten durch die Stadt gezogen war, gab es einiges in attraktivsten Lagen zu holen. Der Potsdamer Platz ist ein Beispiel. Und eben das Gelände an der Spree. Uferbebauung bis zur Kaimauer, den Reichen das Schöne - nicht nur die Großinvestoren sahen das so, sondern auch der Senat.

"Wer aber die Ufer verbaut, verbaut sich eine Jahrhundertchance", sagt Franz Schulz, der grüne Bürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain. "Erst wenn man merkt, dass man da nicht mehr hin kann, begreift man, was für einen Schatz man verloren hat."

Eigentlich sind das die Worte, die Carsten Joost sagen müsste. Nun kommen sie aus dem Mund des Bürgermeisters. Ausgerechnet der jedoch steckt in der langen Genese des Mediaspree-Hypes in der Rolle des Buhmanns. Denn nachdem das Land die städtebaulichen Wettbewerbe mit Hotels, Hochhäusern und allerhand Mega-Architektur abgeschlossen, die großen Entwicklungsentwürfe wie "Planwerk Innenstadt" abgesegnet und Friedrichshain mit Kreuzberg fusioniert hatte, durfte der Bezirk ran und das Ganze in Bebauungspläne übersetzen. Schulz aber, der, bevor er Bürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg wurde, dort Baustadtrat war, hat schon früh gesehen, dass die Bevölkerung bei der Planung übergangen wurde. In mühseligem Taktieren schaffte er es in den letzten fünf Jahren, dass wenigsten einige der Häuser, die direkt am Ufer der Spree geplant waren, nicht gebaut werden und es stattdessen einen etwa zehn Meter breiten Uferstreifen geben wird, der öffentlich zugänglich bleibt.

Zehn Meter sind zu wenig, meinen Carsten Joost und mit ihm die Initiativgruppe "Mediaspree versenken". Die derzeitige Zwischennutzung mit den Strandbars und Clubs gibt ihnen recht. Es sei ein Unding, auf die jetzigen Freiflächen Hochhäuser und Parkplätze zu bauen. "Das will kein Mensch. Das braucht kein Mensch", sagt er und zählt die Quadratmeter Bürofläche auf, die in Berlin ohnehin leer stehen, die zigtausend versprochenen Arbeitsplätze, die sich längst als Schimären herausgestellt hätten, und das Vermietergebaren im Bezirk, das bereits unsoziale Züge trage. "Schon heute werden höhere Mieten mit Mediaspree begründet."

Deshalb fordern die basisdemokratischen Aktivisten und Aktivistinnen, dass der Uferstreifen 50 Meter breit sein soll, dass auf Hochhäuser verzichtet wird und auch keine neue Autobrücke über die Spree gebaut wird. Stattdessen wollen sie kleinteilige Parzellierung der Grundstücke, damit Genossenschaften, kleine Unternehmen, Künstler Zugang haben. "Das bringt Arbeitsplätze, das bringt Leben und soziale Gemeinschaft", sagt Joost.

Er, der Architektur studiert hat, zehn Jahre in Architekturbüros jobbte und sich gut im Planungsrecht auskennt, sieht sehr wohl, dass man im Bezirkamt den Mediaspreegegnern schon entgegengekommen ist. So wird ein Sonderausschuss eingerichtet. In dem soll jedes Bauvorhaben noch einmal mit Investoren, Mediaspreegegnern und Bezirkspolitikern besprochen werden. Joost wird vermutlich als Bürgerdeputierter dabei sein. Ein Ehrenamt.

Auch hat der Bezirk in seiner derzeitigen Brückenplanung nur noch einen Fußgängersteg und eine Brücke für den öffentlichen Nahverkehr vorgesehen. Zudem ist der Bezirk bei zwei Grundstücken, die noch in Landesbesitz sind, mit seinen Beschlüssen in Konfrontation mit dem Senat gegangen. Auf dem einen ist derzeit der Club "Maria am Ufer". Da will der Bezirk, dass das Gelände als Park ausgewiesen wird. Das andere liegt an der Cuvrystraße auf Kreuzberger Seite. Der Bezirk fordert den Senat nun auf, dort einen 50 Meter breiten Uferstreifen unbebaut zu lassen.

Die MediaspreegegnerInnen haben demnach schon einiges erreicht. Mit dem Bürgerentscheid setzen sie dennoch aufs Ganze. Schulz indes fürchtet, dass sie genau damit scheitern. Denn sollte die Abstimmung in ihrem Sinne ausgehen, kann das Land dem Bezirk die weitere Zuständigkeit für die Bebauung entziehen. Dann sieht der Bürgermeister selbst das Erreichte infrage gestellt.

Joost allerdings will auch vor weniger dialogbereiten Kontrahenten wie Schulz nicht einknicken. Der im hessischen Rottgau Aufgewachsene war schon als Teenager beim Protest gegen die Startbahn West am Flughafen Frankfurt dabei. In alternativen Protestformen fühlt er sich bestens geschult. Auch darin, dass man für Bürgerproteste einen langen Atem braucht. Und scheitern kann. Seine Diplomarbeit hat er über den Westhafen in Frankfurt gemacht. Während er eine alternative Bebauung ausarbeitete, holte die Realität ihn ein. "Vor das Eckhaus mit tollen Blick über den Hafen, in dem ich gewohnt hab, wurde ein Betonklotz gesetzt."

Das habe übrigens, meint er, den Ausschlag gegeben, 1997 nach Berlin zu gehen. In der Hauptstadt hat er eine alternative Bebauung fürs Tacheles entwickelt. Vergebens. Auch beim Widerstand gegen den Abriss des Palastes der Republik war er dabei. "Eine echte Niederlage", sagt er und beendet den Satz nicht.

Im Grunde treffen mit Joost und dem fast 20 Jahre älteren Schulz zwei Gleiche aufeinander. Beide loten immer wieder die Schwachstellen in Planungs- und Verwaltungsprozessen aus. Und für beide ist der Istzustand nicht das Maß aller Dinge. Der Bezirksbürgermeister Schulz allerdings kann seinen Widerpart sehr genau benennen: Es ist das Land, das den Bezirken den Gestaltungsspielraum einschränkt. Der Gegner von Joost und von den Leuten, für die er spricht, ist dagegen die Arroganz von Macht und Kapital. Gefragt, ob er sich von denen nicht letztlich korrumpieren lassen wird, denn gute Gegner wie er werden von Politik und Kapital gern vereinnahmt, verneint er. "Ich will nicht in einem öffentlichen Gremium fest angestellt sein und mir sagen lassen: Du hast die Bewegung verraten."

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