Der Marrakesch und die große Koalition : Kommentar von Detlef Gürtler
Na bitte, es geht doch. In Wolfsburg werden auch nächstes Jahr noch Volkswagen gebaut werden, sogar wenn sie so wüste Namen wie Marrakesch tragen. Und in Berlin wird noch dieses Jahr eine große Koalition zustande kommen, in der weder Paul Kirchhof noch Guido Westerwelle soziale Kälte verbreiten können – und selbst Angela Merkel, wenn überhaupt, nur ein kleines bisschen.
Der Sommer 2005 hatte noch den vorläufigen Tiefpunkt der gefühlten Temperatur markiert, die die soziale Marktwirtschaft im Angebot hat. Als konzertierte Aktion von Kapital und Politik sah es im Regierungsviertel nach einem Durchmarsch von Kirchhofsteuer und Kopfpauschale aus, während in der Wirtschaft die Aushängeschilder des Landes wie Daimler und Siemens ins Visier der Hedge-Fonds gerieten. Und die deutscheste aller Deutschland-AGs, die aus Wolfsburg, schlingerte von der Fahrbahn und landete im Sumpf aus Mauschelei, Korruption und Kostendruck.
Doch pünktlich zum Herbstanfang ist nun ein vorsichtiges Ansteigen der Betriebstemperatur zu bemerken. Die Thatcher’sche Revolution findet mangels Wahlsieg nicht statt, die CSU hat ihr Herz fürs Soziale wiederentdeckt – und sei es nur, um Merkel zu ärgern –, das Geschäftsklima hellt sich auf, und bei VW einigen sich Gewerkschaft und Vorstand auf weniger Geld, dafür aber mehr Jobs. Und damit kein Spielverderber auftreten kann, sorgt Porsche als neuer Großaktionär dafür, dass der VW-Sumpf gemütlich feucht bleibt. Eine gesamtgesellschaftliche Trendwende, die säkulare Klimaerwärmung, die die neoliberale Eiszeit vertreibt? Oder doch nur ein Altweibersommer, der ein letztes Aufatmen erlaubt, bevor Väterchen Frost so richtig zuschlägt?
Der rheinische Kapitalismus, also die sozialpartnerschaftliche Wärmestube statt der profitmaximierenden Kältekammer, versucht noch einmal, auf die Füße und in Schwung zu kommen. Aber so schwach, wie er sich zu dieser Jahreszeit darstellt, wird er äußerst tatkräftige Hilfe aus der Politik brauchen, um das zu schaffen. Wenn überhaupt, geht das nur mit einer starken großen Koalition – und einer schwachen Angela Merkel.
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