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Archiv-Artikel

Der Mann mit dem Margarinegesicht

Morgen wird Hotte Köhler neuer Bundespräsident. Lobrede auf einen deutschen Leistungsträger

Die Zunge! Sie will nicht stumm in ihrer Höhle lungern; will flattern, schnalzen, ein Hohelied in den Maienhimmel speien: Ein verdammt Großer wird auf uns kommen, ein Hotte Köhler in Präsidentengestalt, ein Stoßarbeiter im Weinberg des Herrn schon unter Theo Waigel und Helmut Kohl, ein BWLer von Geblüt, das Fleisch gewordene Beamtenethos mit entsprechend zähem Hinterteil, ein Leistungs-, Hoden- und Fackelträger des globalen Geldverkehrs steigt hinab zu uns, den Bürgern! Und wahrlich, es ist ihm ernst: Er pfeift auf 400.000 Dollar (steuerfrei und jährlich) – und seine schöne, alte Backsteinvilla in Washingtons besserer Lage steht nebst Swimmingpool bereits zum Verkauf. Die Mutti ist schon schwer am Packen.

Die Zunge, das flutschige Ding, ist das eine. Das andere aber ist der Respekt vor dem Amte. Was der gebietet, haben wir in den vergangenen Wochen von keinem besser lernen können als vom Designierten selbst. Und was er verbietet, auch – nämlich ihn mit Blüten der Saison zu bewerfen, weder floral noch verbal. Während die alberne Hochfrisur mit den langen Zähnen über die Flure der Sendeanstalten flitzte und Türen aufriss („Ich bin die Gesine“), stand er reglos vor dem Brandenburger Tor im Winde und wartete, dass ihn die Menschen an seinem eisernen Lächeln erkennen würden. „Ist das nicht?!“, riefen ganze Familien aus und beugten das Knie im Kehricht der Hauptstadt. Und nur ein ums andere Mal musste er erleben, dass man ihn mit Roland Kaiser verwechselte.

Der Respekt vor dem Amte gebot es ihm zudem, uns mit dem reinen Wein seiner eingreifenden Denkungsart zu benetzen: „Wir brauchen eine wirklich tief greifende Erneuerung“, antwortete er – egal ob man ihn nach dem Weg zum Bahnhof oder nach seiner Schuhgröße gefragt hatte. Ein Satz von solcher Rama-Brotaufstrich-Frische, dass der Mann mit dem Margarinegesicht wohl schon vor seiner Wahl als „Horscht der Tiefgreifende“ in die Reihe der Bundespräsidenten – Heinrich der Senile, Richard-Silberlocke, Ruck-Roman, Karl unterm Gelben Wagen, Johannes der Feuchte – eingehen wird.

Wie stilvoll er schweigen und die Beine knitterfrei übereinander schlagen konnte! Nur einmal brach es aus ihm heraus, das Temperament des räudigen Cholerikers, als den ihn Sekretärinnen, Putzfrauen und Faxgeräte im Ministerium der Finanzen noch heute in schrecklicher Erinnerung haben: In einer vorauseilenden Wallung von Dankbarkeit ernannte er Angela Merkel zur künftigen Bundeskanzlerin der Herzen. Schließlich war sie es gewesen, die ihn an einem 4. März 2004 kurz nach dem Mittagessen in seinem Washingtoner Büro per Telefon geweckt und gefragt hatte, ob er unter ihrer Leitung Präsident werden wolle.

Ja, warum denn nicht! Der kleine Horst lernte früh das Repräsentieren. Mama und Papa waren samt den acht Kindern, Kuh und zwei Schweinen zur Repräsentation der arischen Rasse im besetzten Polen von den Nationalsozialisten auserkoren worden. Zuvor hatte die SS den Ort brutal für die Köhlers geräumt. Die Mutter nahm die Repräsentationspflichten ernst. Einen der Knaben nannte sie Adolf, den anderen Horst – zur Erinnerung an den terroristischen Nazischläger Horst Wessel. Und dieser Horst (natürlich nicht der Wessel) wird morgen Präsident. Nach der Vertreibung in der Nähe von Leipzig gelandet, bewahrte die Mutter ihren idealischen Antikommunismus, vernähte in einem Akt des Widerstands zwei Pioniertücher zu einer Badehose für Horst und verzog dann mit der Sippe über Berlin Friedrichstraße in den Westen. Ruhm und Ehre auch ihr! Nicht auszudenken, wenn Horst im Osten geblieben wäre. Er wäre heute ein strafberenteter ehemaliger marxistischer Binnenwirtschaftler des Mangelsystems und würde als PDS-Stadtverordneter in Markkleeberg die kapitalistischen Kommunalfinanzen zusammenhalten. Während der Präsidentenwahl soll die Köhler’sche Familiengeschichte, wie man hört, durch den einstigen faschistischen Marinerichter Filbinger würdig vertreten werden.

Auf dem Gymnasium in Ludwigsburg hielt man den Arbeiterknaben fälschlich für einen Linken – worüber unser Köhler sich noch heute amüsieren kann. Der Eindruck müsse entstanden sein, meint der künftige Präsident, weil ihm die soziale Lage immer schon sehr am Herzen lag, nämlich seine eigene. Mitten aus seiner patriotischen, jedoch für ihn zu mager dotierten Pflichterfüllung bei der Ausplünderung der Ossis durch die Währungsunion wechselte er abrupt dorthin, wo das Geld wartete – zum Sparkassenverband. Ob er mit dem Gehalt eines Bundespräsidenten auskommen oder mitten in der Amtszeit aus Existenzangst in die Vorstandsetage der Deutschen Bank wechseln wird – dazu will er sich jetzt nicht festlegen.

Was aber, wenn der momentan beste Deutsche morgen durchfällt? Dann, sagt er, wäre er „erst einmal“ arbeitslos. Aber nicht lange. Denn einer wie er, sagt er, wurde immer geholt, hat sich nie gedrängt. In das „höchste Amt“ als ziemlich entbehrlicher Petitionsonkel schon gar nicht. Außerdem würde er ein Buch schreiben – über die Liebe zu seiner Frau. Mit der hat er drei Monate lang über den Philosophen Eduard Spranger diskutiert, bis er sie zum ersten Mal an eins ihrer Ohren griff. Ein Buch als flotter Dreier Horst/Eva/Eduard? Hoffentlich geht morgen alles gut! MATHIAS WEDEL