: Der Mann fürs köstlich Rohe
Wie tickt der neue Bundeslandwirtschaftsminister und Metzgermeister Alois Rainer privat? Ein Besuch in Bayern

Von Fritz Tietz
Frühmorgens dampft der Dorfplatz in Haibach noch vom nächtlichen Regen. Aber von der Metzgerei her weht bereits ein kräftiger Duft von Leberkäse und Räucherspeck durch die klare Landluft. Hier, in der kleinen niederbayerischen Gemeinde am Rande des großen Bayerischen Walds, liegt neuerdings das Zentrum der Agrarpolitik Deutschlands. Hier lebt und wirkt Alois Rainer: Metzger, Minister, Merz’ Mann fürs Rohe. An diesem Morgen öffnet er seine Tür exklusiv für die Reporter der Wahrheit.
Schon beim Eintreffen am familieneigenen Schlachtbetrieb mit der historischen Bierschwemme nebenan – einem trutzigen Bau aus Bruchstein, Fassbrause und Tradition – wird klar: Hier herrschte nie ein grüner Zeitgeist. Hier wurde seit jeher Fleisch nicht nur gegessen, sondern gelebt. In der Auslage des Traditionsbetriebs glänzen gebratene Kalbshaxen wie Goldklumpen im Schaufenster der Macht, daneben sorgfältig geschichtete Aufschnittfladen und Tröge voller Bratwürste, eingerahmt von grob gehobelten Brotzeitbretteln.
Der wahre Paukenschlag dieses Morgens erfolgt aber an der kuhhautgegerbten Haustür. Denn Alois Rainer, 60, kürzlich ernannter Bundeslandwirtschaftsminister, begrüßt uns in einem Hausanzug aus semitransparentem Schweinedarm. Ein Aufzug, der selbst für uns hartgesottene Reporter eine neue Dimension der Nähe bedeutet.
Der Anzug schmiegt sich an den Politiker wie die Pelle an die Weißwurst. Jedes Detail der ministeriellen Physis – Sehnen, Adern, Muskeln – zeichnet sich darunter ab: vom klar definierten Bizeps bis zum beneidenswert kleinen Bauchansatz, den er scherzhaft „meine Wellfleischreserve“ nennt.
„Des is koa Modedings“, sagt Rainer schmunzelnd, „des is textile Landwirtschaft.“ Es ist ein Auftritt zwischen sinnlicher Fleischeslust und bayerischer Selbstbehauptung. „Und er is halt nachhaltig“, lacht Rainer, während er uns durch das knochengetäfelte Entree seines Familienhofs führt.
Das Wohnzimmer gleicht einem musealen Fleischtempel. Die Sofagarnitur ist mit gedörrten Schweinelenden überzogen, die Lampenschirmchen bestehen aus hauchdünnem Kalbsleder, auf dem Couchtisch thront ein Tablett mit Mettsemmeln, dekoriert mit glasierten Zwiebeln.
„Des is mei liebsta Aufstrich: Feuerwehrmarmelade“, sagt Rainer, und man glaubt ihm sofort: Dass für ihn Brot ohne ein Fleisch drauf schlicht nicht existiert.
Neben ihm steht eine Frau, resolut und wachsam. Aber wer ist sie? Die Ehefrau? Seine Schwester, die ehemalige Bundesministerin Gerda Hasselfeldt? Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen.
„Ohne die Frau – da wär i a abgenagter Schlegel“, sagt Rainer trotzdem. Seine Zuneigung zu ihr gehe durch den Fleischwolf. Regelmäßig überrasche der passionierte Fleischparierer sie mit ganz persönlichen Veredelungen: Entenlebernüsschen mit Nougatkern, Speckrosen auf Schokoladenboden oder – wie erst vorige Woche – eine Herztorte aus Kalbsbries und kandiertem Bauchspeck, serviert in einer Vanilleschwarte. Oder Kaninchenbrust mit Pralinéfüllung, Wildschweinbäckchen auf Marzipanspiegel und, besonders innig, seine legendäre Leberpastete in Herzform.
„I kenn ihren Geschmack und sie meinen“, sagt Rainer und schaut zu ihr. Die Frau nickt. Kurz. Kräftig. „Solang’ der Ochsenschwanz heiß aufn Tisch kommt, passt’s“, sagt sie trocken.
Nicht zu unterschätzen ist bekanntlich Rainers Ruf als Meister der traditionellen Hausschlachtung – eine Kunst, die der studierte Entbeiner nicht nur vollendet beherrscht, sondern regelrecht zelebriert. Und der regelmäßig enge Parteifreunde beiwohnen dürfen.
So wie voriges Jahr, als „mein Ministerpräsident“ persönlich zu Alois Rainers Schlachttag erschien. „Der Söda wollt halt mal ane echte Schweinerei erleben“, erinnert sich Rainer, während er uns zu einem Schrank führt, in dem die Schlachtbestecke feinsäuberlich einsortiert sind wie bei anderen Familien das gute Sonntagsbesteck.
Allerdings: „Wir war’n grad beim Abstechen vom Sau-Michl – a 220-Kilo-Prachtpursche – da is der Maggus blass word’n. Und zack: umg’fallen.“ Rainer hebt beide Hände zum Schwur. „Mitten in die Blutlache. Hat’s a bissl dramatisch ausg’sehen, aber mei – i hab’s als gutes Zeichen g’seh’n.“ Die Frau neben ihm ergänzt: „Ham ihm dann a halbes Pfund Hirn mitgegeben – für später, zum Nachdenken.“ Der Scherz bleibt hängen. Ja, in diesem Schlachthaus hat selbst der Humor immer einen Hauch von Metzgerei.
Jetzt als Landwirtschaftsminister fordert „der schwarze Metzger“ (Markus Söder) für ganz Deutschland, was in Niederbayern nie anders war: die Schnitzelpflicht in Kitas, Schulen, Kantinen. „Salat is gut für Kaninchen. Aber mia san kane Sojabohnen.“ Künftig soll jede deutsche Mahlzeit eine „verbindliche Fleischkomponente“ enthalten – ganz gleich ob Hackfleischkrumen im grünen Salat oder Wurstsplitter im Joghurt. „Mir geht’s ned drum, Veganer zu ärgern. Sollen’s daheim machen, hinter verschlossenen Vorhängen. Aber i lass in Deutschland die Bluatwurst ned verbieten.“
Der Besuch endet abrupt – mit einem ehestreitähnlichen Szenario. Die Frau, aus der Küche rufend, mit fester Stimme: „Alois! Die Reste vom Frühstück! Schau, dass des wegkommt – oder bist du etwa kan Verbandsrat mehr“, spielt sie ganz offensichtlich auf Rainers langjährigen Führungsposten im Plattlinger Zweckverband für Tierkörper- und Schlachtabfallbeseitigung an. Der Minister zieht kleinlaut die Schultern ein, murmelt ein zerknirschtes „Ja, i kumm glei“ und verschwindet mit einem Knochensäckchen Richtung Küche.
Nein, Alois Rainer ist kein Mann für halbe Portionen, weder auf dem Teller noch in der Politik. Fleisch ist für ihn Identität, Berufung, Familie und Antwort auf fast alle politischen Fragen. Ob Deutschland bereit ist für den Wurstkurs des gelernten Zerlegers? Wer weiß. Nur eines ist sicher: Solange noch geschlachtet wird, liegt ein Duft von Zukunft in der Luft. In Haibach riecht er nach gebratenem Speck. Und das sicher bald auch in ganz Deutschland.
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