Der Lichtmeister

■ Kameramann und Maître imagier: Henri Alekan

Henri Alekan stand bei weit über 150 Filmen hinter der Kamera und ist bis heute davon besessen, Bilder aus dem Nicht-Geschehen — wie er es nennt — auftauchen zu lassen, aus dem Schwarz, aus der Dunkelheit. Er ist ein Mann der „alten Schule“, der, bis ihm Ende der dreißiger Jahre erste eigene Aufgaben übertragen wurden, sein Handwerk von der Pike auf in Assistenzen bei Marc Allégret, Jean Renoir, G.W.Pabst und zahlreichen weiteren prominenten Regisseuren lernte. Ihn prägte auch der aus Deutschland emigrierte Eugen Schüfftan mit seinen berühmten Trickaufnahmen, die er direkt in der Kamera machte (u.a. beiMetropolis), vor allem aber mit seiner malerischen Konzeption des Bildaufbaus, die fortan zu Alekans Markenzeichen werden sollte. Die Dynamik des Lichts in der Komposition des Bildes, die seltene Fähigkeit, räumliche Skulpturen zu schaffen meisterte er vor allem in Cocteaus surrealistischem Märchenepos La Belle et la Bête („Die Schöne und das Biest“, 1945).

Die auf das cinéma d'auteur eingeschworene nouvelle vague konnte kaum etwas mit Alekan anfangen: zusammen mit „Papas Kino“ war er abgeschrieben. So schlug er sich bei Kommerzproduktionen durch. Diese harten Lehrjahre eines Meisters hätten jeden anderen leicht verbittern können. Alekan wußte aber auch im enger gesteckten Rahmen seine nuancierte Kameraarbeit, die auf der exakten Lichtbestimmung aus der historischen Zeit basiert, in einem Maße zur Geltung zu bringen, daß so manche seichte Produktion (wie Mayerling von Terence Young, 1968) vor der Trivialität bewahrt blieb. So kann auch der seit der Zusammenarbeit mit Wim Wenders (Der Stand der Dinge, 1982; sowie insbesondere Der Himmel über Berlin, 1986/87) einsetzende späte Ruhm Alekan in seinem künstlerischen Weg nicht irritieren. Im November vergangenen Jahres war Alekan in Wien erstmals mit einer Hommage geehrt worden: Der späte Termin ist fast Anlaß zur Beschämung.

Wenn man sagt, daß die Kunst junger Leute bedarf, so gehört Alekan — trotz seines Alters — gewiß zu den ganz jungen, deren „kindliche“ Neugier beharrlich auf unbetretenes Terrain drängt. Die unter eigener Regie entstandenen Arbeiten vom experimentellen Kurzfilm L'enfer de Rodin (1958) bis zu neuesten Musikclips wie Sister der Gruppe „Detective“ bisher kaum beachtet, sprechen für sich.

Alekan ist ein Multitalent. Beim Fernsehen leuchtete er Rededuelle zwischen Politikern aus, während er für das Pariser Theatercafé „Batacan“ originäre Licht-Choreographien ertüftelte, die ein lange verbotenes Stück von Bernard Noäl in eine poetisierend-erotisierende Hülle kleiden. Das Kompendium seiner künstlerischen Erfahrungen, Des lumière et des ombres (seit seinem Erscheinen 1984 vergriffen; eine deutsche Ausgabe liegt nicht vor), das in 64 umfangreichen Kapiteln alle großen Aspekte des Lichts behandelt, soll um einen die Problematik endgültig abschließenden Band erweitert werden. Doch auch die Filmarbeit geht weiter, mit einem wissenschaftlichen Film über Hämatologie, der bisher noch nie gelungene Makroaufnahmen bestimmter Blutkristalle, die Erkrankungen indizieren, erbringen soll.

„Daneben“ ersinnt Alekan komplette Szenarien, die unsere tristgrelle Urbanität ästhetisch illuminieren könnten: die phantastische Vorstellung einer Architektur, die Licht und Schatten in Gefühle zu übersetzen vermag. Roland Rust