■ Der Lehrstellen-Countdown läuft: Heuchel, heuchel
Wenn es um die Jugend geht, insbesondere um die „arbeitswillige“ Jugend, werden Politik und Wirtschaft plötzlich ganz moralisch. Und heuchlerisch. Denn nichts zeigt die Grenzen und das Versagen der Marktwirtschaft deutlicher auf, als die alljährliche Demoralisierung von Kids, die eigentlich nichts anderes suchen als eine sinnvolle Arbeit.
Da „verspricht“ Kanzler Kohl, daß „auch in diesem Jahr“ jeder „ausbildungswillige“ und „ausbildungsfähige“ Jugendliche eine Lehrstelle finden würde. Der Kanzler verläßt sich auf die Wunder der Statistik: Die zeigt gegen Ende des Bewerbungszeitraums meist eine erträgliche Bilanz, weil die entnervten Teenies entweder weiter die Schulbank drücken oder irgendeine Fördermaßnahme beginnen. Damit verschwinden sie aus den Bewerberlisten – bis zum nächsten Jahr, wo sie den Interessentenstrom einmal mehr verstärken. Und der Kanzler erneut „versprechen“ kann, daß „auch in diesem Jahr“ ... und so weiter.
Die Spitzenvertreter von Wirtschaft und Gewerkschaften sowie die Bundesregierung „appellieren“ an „Betriebe, Verwaltungen, Arbeitsämter und Kammern“, sich weiterhin „engagiert“ für die Erhöhung des Lehrstellenangebots einzusetzen – und beschwören damit nur sich selbst. Ein „besonderer Aufruf“ zur Lehrstellenschaffung geht gar vom Bildungsminister an die Länder und Kommunen. Plädiert aber diese Bundesregierung nicht immerzu für die Verschlankung und Personalreduzierung im öffentlichen Dienst?
Doch um Logik geht es nicht. Sondern darum, irgendwie jene zu vertrösten, denen nach 50 erfolglosen Bewerbungen der Glaube an die alles regulierenden Kräfte einer (Arbeits-)Marktwirtschaft abhanden kommt. Zu Recht, denn das Lehrstellenloch ist nichts anderes als eine Folge betriebswirtschaftlicher Rechnungen. Die Ausbildung eines Lehrlings kostet, und zwar immer mehr. Mit 10.000, sogar 20.000 Mark Nettokosten müssen Unternehmer rechnen, die ihren Nachwuchs qualifiziert ausbilden. Solche Kosten lassen sich sparen, wenn man fertig ausgebildete Fachkräfte im Bedarfsfall bei der Konkurrenz abfischt. Was kein Problem ist: Immerhin wurden im vergangenen Herbst im Osten 30 Prozent der jungen FacharbeiterInnen nicht übernommen, in den alten Bundesländern fast jeder fünfte. Ein bißchen Gerechtigkeit wäre also schon hergestellt, würde die alte Forderung von Gewerkschaften und SPD nach einer „Umlagenfinanzierung“ umgesetzt. Ausbildungsunwillige Betriebe müßten dann zumindest zahlen, ausbildungswillige würden belohnt. Ob neue Lehrstellen dadurch entstünden, ist zwar fraglich. Aber im öffentlichen Diskurs wäre vielleicht schon was gewonnen, wenn man die Ausbildungsfrage solcherart ökonomisieren würde, anstatt das Problem mit Floskeln wie „Lehrstellenversprechen“ und „Lehrstellenlüge“ zu vernebeln. Die Lehrstellen-Suchenden würden damit wenigstens ernst genommen. Und das ist ja wohl das mindeste, was sie verlangen können. Barbara Dribbusch
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