: Der Lack ist ab
SENAT Nach dem Kompromiss zur Charité steht der parteilose Finanzsenator als Verlierer da. Von seinen groß angekündigten Sparplänen ist wenig geblieben. Was ist von Ulrich Nußbaum noch zu erwarten, 16 Monate vor der Abgeordnetenhauswahl?
■ Gut ein Jahr lang hat der Senat über die Charité gestritten, wo es teilweise schon durchs Dach regnet. Um das Uniklinikum zu sanieren, sind nach Schätzungen 1,6 Milliarden Euro nötig.
■ Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) sah einen Grund für die Misere in der quasi hausinternen Konkurrenz mit dem ebenfalls landeseigenen Klinikkonzern Vivantes. Er schlug deshalb vor, das Uniklinikum Benjamin Franklin in Steglitz an Vivantes abzugeben. Dafür wiederum sollte einer der neun Vivantes-Standorte dichtgemacht werden. Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) aber wollte keine Abstriche an der Hochschulmedizin machen, Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) alle Klinikstandorte erhalten.
■ In einem entscheidenden Gespräch am Dienstag unterlag Nußbaum: Alle Standorte sollen erhalten bleiben, nur 500 Betten abgebaut werden. Offen ist, wie das finanziert werden soll. (sta)
VON STEFAN ALBERTI
„Kraftvoll“ ist eines seiner Lieblingsworte. „Kraftvoll“ müsse man dieses oder jenes tun, sagt Finanzsenator Ulrich Nußbaum immer wieder, seit er vor etwas mehr als einem Jahr aus Bremerhaven nach Berlin kam. Kraftvoll aber redet er bloß – meint nicht nur die Opposition im Abgeordnetenhaus. Dass Nußbaum sich jetzt im Streit um die Charité-Sanierung nicht hat durchsetzen können, gilt vielen dafür als jüngster Beweis.
Mit vielen Vorschusslorbeeren war der 53-Jährige, der in Bremen von 2003 bis 2007 schon einmal Finanzsenator war, in seinen neuen Job gestartet. Sozialdemokraten und Linkspartei waren ihres Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) längst überdrüssig geworden, der mit immer neuen Sprüchen und kruden Thesen für schlechte Schlagzeilen sorgte. Als Nußbaum, vermögender Fischhändler, im Frühjahr 2009 im Bentley in Berlin vorfuhr und sich bei den Koalitionsfraktionen vorstellte, überschlug sich die Linkspartei fast vor Lob: Sympathisch, offen und angenehm sei er.
Bei der SPD-Fraktion witzelten weibliche Abgeordnete, der gut aussehende Nußbaum, eine Mischung aus Hansi Hinterseer und Pierre Brice in jungen Jahren, mache nun Klaus Wowereit als Senatsschönling Konkurrenz. Ein Jahr später ist die Begeisterung verflogen. In der SPD sind nicht wenige sauer darüber, dass Nußbaum öfter ohne Absprache vorpreschte. Das ist auch bei der Linkspartei zu hören.
Nußbaum brauchte nicht lange, sich Feinde zu machen. Er war im Mai 2009 kaum im Amt, als er im Charité-Streit Jürgen Zöllner runterredete, seinen SPD-Kollegen vom Bildungs- und Wissenschaftsressort – noch so einer, der 2006 als vermeintlicher „Supersenator“ nach Berlin kam, dieses Etikett aber längst verloren hat. Zöllner könne nicht rechnen, tönte Nußbaum sinngemäß und schlug bald vor, auf einen Charité-Standort zu verzichten. Jetzt aber bleiben gegen den Willen des Finanzsenators alle Kliniken erhalten.
Viel folgenloses Überlegen
Im Oktober stellte Nußbaum die geplante Sanierung des ICC in Frage, doch auch über ein halbes Jahr später gibt es keine Entscheidung für oder gegen einen Abriss. Bisher folgenlos blieben auch seine Überlegungen, der Deutschen Bahn die krisengeschüttelte S-Bahn abzukaufen. Das schaffe alles nur Unruhe und lasse die Koalition schlecht aussehen, wenn nichts Konkretes dabei herauskomme, heißt es.
Kritiker Nußbaums müssen wider Willen sogar nachträglich dessen umstrittenen Vorgänger Sarrazin loben: Der habe über eine neue Baustelle zumindest erst koalitionsintern geredet. Nußbaum aber gehe sofort in die Öffentlichkeit, „dabei stecken dahinter noch gar keine politischen Verabredungen“, heißt es bei der Linkspartei.
Was Nußbaums größter Vorteil ist, ist zugleich sein größter Nachteil: Er kommt von außen, ist ohne Verflechtungen und Verpflichtungen in Berlin, aber eben auch ohne Unterstützung und eigene Hausmacht. Er lebt allein vom ungewissen Rückhalt durch Wowereit, der ihn nach Berlin holte.
Nußbaum hat zwar eine Nähe zur SPD, wie sich in Diskussionen über Kita-Plätze und Bildung im Allgemeinen immer wieder zeigt. Er hat aber nicht ohne Grund weiterhin kein Parteibuch. Nußbaum erinnert gern an sein früheres, derzeit ruhendes Leben als Fischunternehmer in Bremerhaven, zieht oft Vergleiche mit der Privatwirtschaft und pflegt bewusst einen parteifernen Stil.
Der drückt sich schon darin aus, wie sein Führungsteam in der Finanzverwaltung zusammengesetzt ist. „Multikulti“ sei man da, hat er es mal beschrieben: ein CDU-Mann als Chef der wichtigen Haushaltsabteilung, eine Ostfrau als Staatssekretärin, einer mit Migrationshintergrund als Pressesprecher und ein Grüner als Büroleiter. Als zweiten Staatssekretär holte Nußbaum zudem einen Mann, der es sich in Sachsen-Anhalt lieber mit seinem dortigen SPD-Chef verdarb, als eine für ihn nicht vertretbare Finanzpolitik zu betreiben. Diese Truppe ist nicht gerade der verlängerte Arm der Berliner Parteizentrale in der Müllerstraße, auch wenn die erwähnte Ostfrau stellvertretende SPD-Landeschefin ist.
Was Nußbaum sichtlich unterschätzt hat: In der Praxis entscheiden nicht allein Zahlen, sondern mindestens genauso sehr Strukturen, Angst um Wählerstimmen und Besitzstandsdenken. Der Streit über die Charité bildet das beispielhaft ab. Nußbaum blickte aus Unternehmersicht auf das komplexe System aus Kliniken, Grundversorgung und Hochschulmedizin, sah Doppelstrukturen und Einsparungspotenzial. Was er nicht sah, war die politische Symbolik, die eine Klinikschließung im Südwesten der Stadt hätte.
Noch nicht einmal zu Beginn seiner Amtszeit 2002 konnte sich Rot-Rot dazu durchringen, das dortige Universitätsklinikum Benjamin Franklin zu schließen. Viel weniger ist das im Jahr vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl angesagt. Nußbaum hat zudem das Problem, dass Rot-Rot derzeit zu der Erkenntnis tendiert, dass mit einem knallharten Sparkurs bei Wählern nicht mehr viele Punkte zu sammeln sind. Was 2006 noch Ausweis einer konsequenten Politik war, zieht heute nicht mehr: Millioneneinsparungen in sensiblen Bereichen wie sozialer Infrastruktur oder Bildung sind den Bürgern tagsüber schlecht zu verkaufen, wenn sie abends in der Tagesschau von Milliardenhilfen für Banken oder andere EU-Staaten hören.
Es war kein Zufall, dass der Senatssprecher bei einer Pressekonferenz vor einigen Wochen neue Sparankündigungen des Nußbaums sofort einschränkte: Das sei Nußbaums Blick auf die Dinge, im Senat habe die Diskussion darüber noch nicht mal angefangen.
FDP-FRAKTIONSCHEF CHRISTOPH MEYER
Zu den wenigen konkreten Erfolgen von Nußbaum gehört, eine Frau an die Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe gebracht zu haben. Damit sammelte er zwar Punkte bei den SPD-Frauen und weiblichen Linken-Abgeordneten – mehr aber nicht. Bei der Opposition stieß es immerhin auf positive Resonanz, dass er, anders als sein Vorgänger Sarrazin, Einblick in den umstrittenen Vertrag mit der Modemesse Bread & Butter gewährte und angebliche Verstrickungen Sarrazins beim Golfclub Wannsee untersuchen ließ.
Das war es allerdings im Großen und Ganzen. Mantrahaft kann die FDP daher seit fast einem Jahr vom „Ankündigungssenator Nußbaum“ sprechen, was auch Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop unterschreiben würde. Nußbaum habe zwar recht, wenn er konsequent sparen wolle, sagen die Liberalen – aber dann müsse er auch konkrete Zahlen nennen und durchsetzen. Pop fordert statt vieler Worte einen klaren Kassensturz noch vor der Abgeordnetenhauswahl.
„Ober sticht Unter“
Vom Koalitionspartner Linkspartei gibt es offiziell zwar nur Positives über Nußbaum zu hören. Er hab sich lernfähig gezeigt, nachdem er anfangs den öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor ÖBS kritisierte – ein linkes Vorzeigeprojekt. Hinter vorgehaltener Hand aber heißt es in der Fraktion, dass das mit dem Ankündigungssenator gar nicht so falsch sei, dass er konkreter mit den Fraktionen Projekte diskutieren und Vorschläge machen müsse.
Kraftvoll wird Nußbaum gemäß seiner Lieblingsvokabel in nächster Zeit beweisen müssen, dass er mehr kann, als Probleme zu benennen. Sonst bleibt auf Dauer an ihm haften, was die FDP ihm nach der Niederlage im Charité-Streit vorhält: Dass ihm jegliches politisches Gewicht im Senat fehle. In anderem Zusammenhang hat Nußbaum mal gesagt: „Am Ende sticht natürlich Ober den Unter.“ Das ist im Senat der entscheidende Punkt: Wenn Wowereit nicht will wie Nußbaum, hilft dem auch alles Kraftvolle nicht weiter.