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Archiv-Artikel

Der Kufenkünstler

Andreas Morczinietz studiert Kunstgeschichte in Marburg. In Helsinki aber schießt er Tore für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft. Mit der hat er es jetzt sogar ins WM-Viertelfinale gebracht

aus Helsinki CHRISTIANE MITATSELIS

In diesen Tagen macht es richtig Spaß, mit Andreas Morczinietz zu sprechen. Der deutsche Eishockey-Nationalspieler sieht sehr glücklich aus – und er hat gute Laune. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Bei der WM in Finnland erlebt der 25-jährige Stürmer eine kreative Phase auf dem Eis. In den ersten vier Spielen schoss er schon drei Tore und spielte auch sonst sehr gut. Das hebt die Stimmung – und löst die Zunge. „Ich finde hier zu meiner Normalform zurück und bekomme die Torchancen, die ich während der DEL-Saison in Köln nicht hatte“, sagt Morczinietz. Als er gefragt wird, wie er sich seine Leistungsexplosion erkläre, blickt er den Fragenden streng an. Dann sagt er: „Ach so, explodiert bin ich. Davon habe ich gar nichts gemerkt.“ Der Reporter entschuldigt sich und stellt die Frage mit dezenteren Worten. Morczinietz schaut ihn an, als wolle er sagen: Na, geht doch!

Andreas Morczinietz unterscheidet sich auch in anderen Dingen deutlich vom gemeinen Eishockey-Profi. Er ist ruhig, ein nachdenklicher, besonnener Typ – und er wirkt seltsam verletzlich. Der Spieler selbst sagt: „Ich bin kein normaler Eishockey-Spieler.“ Wie sich das en detail äußert, will er nicht näher beschreiben. Er sagt nur: „Es reicht schon, dass ich male.“ Damit hat er natürlich Recht: Es gibt nicht allzu viele Cracks in diesem angeblich so echten Männersport, die sich für Kunst interessieren.

Und das tut Morczinietz. An der Uni Marburg ist er eingeschrieben für Kunstgeschichte, sein Lieblingsmaler ist der Expressionist Franz Marc. In vier Semestern machte Morczinietz immerhin sieben Scheine. „Leider“, sagt er, „habe ich als DEL-Spieler kaum noch Zeit, mich um das Studium zu kümmern.“ Zumindest in seiner Freizeit aber tobt sich Morczinietz nach wie vor an seiner Staffelei aus und produziert bevorzugt Ölgemälde. „Ich male alles, was mir in den Sinn kommt“, sagt er.

Wie ein sensibler Künstler braucht Morczinietz auch auf dem Eis ein harmonisches Ambiente, um gute Leistungen zu bringen. In der Saison bei den Kölner Haien lief es erst ganz am Ende, in den Play-offs gegen Krefeld, einigermaßen gut für ihn. Insgesamt war sein erstes Jahr unter dem Kölner Vereinstrainer Hans Zach aber eine Enttäuschung. Nur elf Tore schoss er in 67 Spielen für den KEC. Im Jahr zuvor in Augsburg brachte er es auf 26 Treffer in 54 Begegnungen. „Ich musste mich an Zachs Stil gewöhnen. Das war nicht einfach“, sagt Morczinietz. Den Stil des gelernten Metzgermeisters aus Bad Tölz beschreibt er so: „Er sagt dir schonungslos die Wahrheit. Und hat so gut wie immer Recht. Es ist aber nicht immer leicht, die Kritik wegzustecken.“ Entsprechend schlecht war in Köln meist die Laune des Spielers. Wie eine gekränkte Diva düste er des Öfteren nach den Spielen aus der Kabine.

Morczinietz scheint diese Phase überwunden zu haben. In Helsinki wirkt er viel entspannter. Sein Trainer in der Nationalmannschaft heißt zwar ebenfalls Zach, inzwischen weiß er aber mit ihm umzugehen: „Man braucht ein dickes Fell. Meines ist inzwischen so dick, dass man mich am Nacken daran aufhängen könnte“, sagt er. Offenbar ist dies hilfreich, bei der WM blüht Morczinietz richtig auf und bringt seine gute Technik voll zum Einsatz. Am Samstag steuerte er einen Treffer zum 5:1-Sieg des deutschen Teams über Österreich bei. Damit hat Zachs Mannschaft die Teilnahme am Viertelfinale bereits sicher. Die Spiele gegen die Topteams aus Tschechien (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) und Finnland (Dienstag) kann das DEB-Team ohne Druck bestreiten.

„Ich freue mich darauf. Es macht Spaß, sich mit den Besten der Welt zu messen“, sagt Morczinietz. „Vielleicht“, hofft er, könne Deutschland es in diesem Jahr sogar schaffen, einen der ganz Großen zu schlagen – und ins Halbfinale zu kommen. Zwar wird Kapitän Jan Benda wegen eines Innenbandrisses wahrscheinlich fehlen, doch „ein bisschen träumen muss doch erlaubt sein“, sagt Morczinietz, der Künstler. Selbst unter Trainer Hans Zach, dem Metzgermeister.