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Der Kettenhund und der Strohmann

Todfroh gibt sich Bayern Münchens Trainer Ottmar Hitzfeld nach dem 1:0 gegen den FC Barcelona, dem ersten Sieg in der Champions League. Promillekönig Stefan Effenberg übt sich in effektiver Unauffälligkeit  ■ Aus München Albert Hefele

Im Prinzip hätte nach drei Minuten schon alles gut oder doch zumindest wunderbar sein können. Kaum war nämlich das Tuchgewedle, das aus rätselhaften Gründen zum Auftakt eines jeden Champions-League-Spieles stattfinden muß, zu Ende und ein unheilverkündendes: „Ready to rumble?“ im Olympiastadion zu München verklungen, da hätten Mario Basler und Hasan Salihamidzic den Sack schon mal ein kleines bißchen zumachen können. Jeder hatte eine nahezu hundertprozentige Chance in der ersten Minute.

Spätestens eine Viertelstunde danach hätte er, der Sack, dick und unlösbar verschnürt sein müssen. Fertig für den Verladebahnhof, respektive die unrühmliche Heimreise des FC Barcelona: „Auf Wiedersehn!“ Wenn Giovane Elber seine Arbeit getan hätte, die da heißt: „Go to the net“ bzw. „Das Runde muß ins Eckige“ oder „Spann steifmachen und draufhauen!“ (Fritz Walter) Er tat es aber nicht oder nur unvollkommen, und nach einer halben Stunde war sich die Mehrzahl der Bayern- Leute unter den 53.000 Zuschauern im nicht gefüllten Stadion sicher: „Des geht in d'Hos'n.“

Warum so skeptisch? Eigentlich bestand keinerlei Grund für irgendwelche Befürchtungen. Die Einheimischen, in einer Art modifiziertem VfB-Dreß – Weiß mit nach untem verrutschten Brustring – hatten die Situation im Griff. Trotz völlig neu formierter Innenverteidigung und eines unauffälligen Stefan Effenberg. Gerade deswegen? Hat Ottmar Hitzfeld am Ende gar ein neues taktisches Konzept geprägt? Der Kettenhund und der Strohmann? Die Rolle des Kettenhundes übernahm in diesem Falle Sammy Kuffour. Durch die raren Einsätze in der Bundesliga regelrecht ausgehungert, was Spielpraxis und Anerkennung angeht, war der Manndecker motiviert bis in die kopfnahen Haarspitzen. Der Ghanaer spielte deutscher als all seine Kollegen: fleißig, bissig, unermüdlich. Keinen Meter Platz für Anderson und keinen Ball.

Teil zwei der neuen Taktik: der Strohmann. Der Strohmann tut so als ob. Er erfüllt eine Quasi-Funktion und beeindruckt weniger durch die Kraft seiner Inhalte/Taten, als vielmehr durch die Faszination der reinen Erscheinung. Den Strohmann am Mittwoch gab Stefan Effenberg. „Promille-Stefan“, wie ihn einige der für ihre Schonungslosigkeit berühmten Münchner Fans nach der ersten halben Stunde beschimpften, war in nur wenigen Szenen so etwas wie ein Spielgestalter. Zu zaghaft, zu wenig Zweikampfbereitschaft, mit einer Ausnahme keine Torgefährlichkeit. Wieder einen draufgemacht?

Nach den Schlagzeilen der vergangenen Woche wissen die Kritiker gleich Bescheid. Ottmar Hitzfeld konnte seinen Spielmacher in der Pressekonferenz wenigstens teilweise rehabilitieren: „Stefan hatte Probleme mit der Wirbelsäule und mußte in der Halbzeitpause gespritzt werden.“ Groß in Schutz nehmen mußte er seinen Elfer letztendlich dann doch nicht, denn der hatte durch seinen wahrscheinlich spielentscheidenden Auftritt eine Sekunde vor der Pause (eins-null nach Kopfballvorlage von Elber) allen Diskussionen um die Effizienz seines Einsatzes den Boden entzogen.

Außerdem ermöglichte Stefan Effenberg durch sein zurückhaltendes Auftreten der anderen Frohnatur in der Mannschaft, sich in den Vordergrund zu spielen. Mario Basler lieferte eines seiner guten Spiele ab. Präzise hereingeschnittene Flanken, harte Distanzschüsse. Dazu in Zusammenarbeit mit Markus Babbel überraschend engagiert in der Defensive tätig, wenn es darum ging, Superstar Rivaldo auf dessen ungeliebter linker Seite abzuschirmen. Das klappte – vor allem in der ersten Halbzeit – hervorragend, und man hatte als Zuschauer sogar zeitweise das Gefühl, heute an diesem Abend hätten die Bayern den ebenso ruhmreichen wie schwerreichen Papst- Club Barcelona mit etwas mehr Mut an die berühmte Wand spielen können.

Warum dann trotzdem: „Des geht in d'Hos'n?“ Knittrige bayrische Grantigkeit? Pessimismus aus Prinzip? Oder ist eine solche Erwartung die Folge konsequenter medialer Gehirnwäsche im Sinne von: „Eigentlich haben deutsche Clubs nicht die Klasse, um mit den Superclubs mitzuhalten“, und „wer seine Chancen gegen die nicht verwertet, muß es unweigerlich büßen“? Weisheiten aus den Gebetsmühlen der Kommentatoren, die genauso oft zutreffen, wie sie falsch sind und dennoch immer unverfrorener unter „ewige Werte“ gehandelt werden.

Natürlich sind die Münchner Fans auch gebrannte Kinder, zumindest was die Champions League angeht. „Die League mag uns nicht“, hat Franz Beckenbauer einmal gesagt und damit auf die vielen verstolperten Auftritte im europäischen Wettbewerb angespielt. Das nagt am Rollenverständnis, beeinflußt den Auftritt auf dem Platz und macht im Vergleich mit den anderen Großen der Branche genau die paar Prozentpunkte an Leistungsfähigkeit aus, die letztendlich die Spiele entscheiden. Darum war Ottmar Hitzfeld auch todfroh um den knappen Sieg. Nicht nur wegen der Punkte: „Das war enorm wichtig für unser Selbstwertgefühl.“

Louis van Gaal plagen solche Sorgen offenbar nicht – oder in ganz anderen Dimensionen. Der sorgfältig gewellte, ringe- und kettchengeschmückte Holländer war dann auch bemüht, während der Pressekonferenz jegliche Information über seinen Gemüts- und Selbstwertzustand zu vermeiden. Auf die Frage, wie wichtig der Titel in der Champions League für seinen Club sei, antwortete er nur gelassen: „Welcher Titel ist im Prinzip egal. Unsere Fans wollen alles.“

FC Barcelona: Hesp – Okunowo, Abelardo, Reiziger, Cocu – Xavi (87. Oscar), Giovanni, Luis Enrique (78. Zenden) – Figo, Andersen, Rivaldo

Zuschauer: 56.000; Tor: 1:0 Effenberg (45.)

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