: Der Kampf mit dem Traum
■ Im Mitmachmuseum der Kunsthalle: Wo bleibt das Unheimliche?
Wo ist die Schlange?“ Die Schlange war von Nils Helges Blatt wieder verschwunden. Ein gelber Hintergrund färbte sich nach oben grün, dann blau, alles licht und freundlich, Mohn glüht rot davor, alles hell, alles klar. Die Schlange, die in Nils Helges Traum vorgekommen war, hatte sich schlecht malen lassen und - mit Aquarellfarben geht das - war spurlos vom gelben Unter
grund verschwunden.
Träume, auch Alpträume, auch Tagträume waren Thema im Mitmachmuseum der Kunsthalle. Die beiden ABM-Betreuerinnen, eine Künstlerin, eine Kunstpädagogin, hatten Birte, Mirja, Michaela, Anke, Julia und Nils Helge zum Einstimmen Traumhaftes aus dem Diaprojektor gezaubert, von Klee und Ensor und Oelze. Dann Reden. Selber was
geträumthaben. Schon schwieriger. Dann malen. Mit Aquarellfarben, die hat man zuhause nicht.
Rausgekommen ist die blaue See, bei Julia massivblau, bei Michaela durchsichtig-wässrig und immer wieder mit dem Schwamm gekämmt, bei Nils-Helge Blauem und Grünem ensteigend, bei Birte mit koketten Wellenlocken aus Wachskreide übermalt.
Die See ist da, um den Traum
von der See kämpfen die Betreuerinnen. Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz klebt ein scharf umrissenes gelbes Schiff auf ihre Massivsee, auf dem steht „Traum“. Sie schneidet grad einen Delphin aus und fragt mich, ob man den auch erkennen kann.
„Guck mal, bei Dir ist alles ganz genau zu erkennen, da ist die See gar nicht geheimnisvoll,“ ermuntert die Museumspädagogin zum Traumhaften, Geheimnisvollen, zum Verwischten. Nils-Helge hat, unter Assistenz, die verbannte Schlange wieder aufs Blatt geholt, der Kopf eine Eichel.„Aber sie ist so verschwommen“, moniert ihr Schöpfer. „Das ist doch im Traum so“, sagt die Künstlerin. Etwas später: „Aber die Augen, das ist so schwierig, die dürfen nämlich nicht verlaufen.“ Nichts ist so wichtig wie das eindeutig Erkennbare, die klare Trennung, die sauber geschnittene Kontur. Von der Angst weg führen viele Wege. Der in die Kunst hat oft den Nachteil, daß er auch zu ihr zurückführt. Das scheuen nicht nur Kinder.
Uta Stolle
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