piwik no script img

Thomas und Simone Schatz kümmern sich um 55 Tiere Foto: Naïma Erhart

Der HausbesuchMit Tieren leben

Thomas Schalz sollte Metzger werden, wie der Vater. Doch es kam anders. Heute rettet er mit seiner Frau Tiere vor dem frühen Tod.

M it 17 Jahren war Thomas Schalz Deutschlands jüngster Metzgergeselle. Fast 20 Jahre lang arbeitete er in Schlachtbetrieben. Bis er „diese mensch- und tierverachtende Aufgabe“ nicht mehr ertragen konnte und 2013 der Branche den Rücken kehrte. Fleisch isst er auch keines mehr.

Draußen: Nieselregen und Kälte. Windräder, trüber Himmel. Ein gelbes Wohnhaus neben der Landstraße. Über einen matschigen Schotterweg erreicht man den Bauernhof mit Scheune, Stall, Schweinestall, Kaninchenhaus und Zelten für die Tiere. „Im Winter sind alle Stubenhocker“, sagt Thomas Schalz und lacht, er meint die Tiere. Obwohl doch alle auf den weiten Wiesen bis in den Wald laufen können. Simone und Thomas Schalz besitzen fünf Hektar Land. Das Haus war in der DDR eine „60-Milchkühe-LPG“, LPG – Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, also ein Stall für 60 Kühe. Nach der Wende stand das Anwesen lange leer. Als Schalz es 2010 kaufte, wusste er noch nicht, wofür. „Es war eine kluge Entscheidung“, sagt er.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Drinnen: 2011 wurde daraus eine Landpension. Anders als heute war die Pension damals „für Menschen“, wie Schalz betont. Bis zur Coronapandemie. Heute sei der ehemalige Frühstücksraum mit grünen und gelben Wänden Büro und Esszimmer und „Raum für alles“. Die großen Fenster gehen zum Garten raus, es ist hell. Schalz kommt von der Arbeit und setzt sich an den mit Gemüsesuppe, Papierservietten und Blumen gedeckten Tisch. Die drei Chihuahua-Hunde der Familie, Rufus, Jule und Lotti, die vor sieben Jahren in der Pension „vergessen“ wurde, bellen und nehmen an dem Mahl teil. Knallbunte Bilder schmücken den Raum. Auch Teller in Gold, Lila und Rosa, von Schalz’ Ehefrau Simone Schalz bemalt. Dazu ein Stapel Postkarten: „Freunde isst man nicht“ steht darauf. In einer Ecke, ein Porträt von Opi, dem roten Kater, der vor zwei Jahren gestorben ist. Und ein kleines Kunstobjekt aus Streichholzschachteln, ein Geschenk von der Kinderbuchautorin und Illustratorin Antje Damm. Es soll an die Tiere erinnern, die im Lebenshof – denn das ist die Pension heute – gestorben sind. Als Simone Schalz es zeigt, kommen ihr die Tränen.

Namen: Pferde, Ponys, Esel, Ziegen, Kaninchen, Katzen, Hunde und mehr, insgesamt 55 Tiere wohnen zurzeit im Lebenshof Freiimfelde. Sie werden vom Ehepaar Schalz als Mitbewohner betrachtet. Wenn sie ohne Namen bei ihnen landen, dann wird im Kalender geschaut, „welcher Namenstag heute ist“. Aurora, die zehnjährige Tochter von Thomas und Simone, liebe es, den Tieren Namen zu geben. Diese stehen meistens mit Handschrift über ihrem Gehege geschrieben. Ihre Geschichten werden im Internet erzählt, wie die von Lilo und Tiifi etwa, die „im Alter von 3 Monaten als lebendige Spanferkel verkauft“ wurden. Auch den Hof als „Lebenshof“ zu bezeichnen, war eine gemeinsame Entscheidung. „Gnadenhof gefiel uns nicht“, sagt sie. „Es klingt, als würden wir Macht über Leben und Tod besitzen.“

Mümmeln im Kaninchenhaus Foto: Naïma Erhart

Tiere nicht essen: Viele der Tiere, die es zu ihnen schaffen, sind alt und krank. Sie wurden abgegeben, ausgesetzt, von Simone und Thomas Schalz gerettet – oder gekauft. Wie im Fall von Momo: Sie haben Geld bezahlt, „damit er nicht als Fohlensteak mit Rotweinsoße und Pommes“ endet. Das Paar kümmert sich um die Tiere ehrenamtlich, neben ihren Vollzeitjobs als Lehrkräfte. Frau Schalz ist seit 23 Jahren Lehrerin, „aus Leidenschaft“. Herr Schalz fing vor 3 Jahren an, als Quereinsteiger Mathe zu unterrichten. Den Tieren schenken sie ihre Freizeit.

Thomas: 1976 kam Thomas Schalz in „einem Dörfchen“ in der Nähe der luxemburgischen Grenze zur Welt. Was er als Kind über den Umgang des Menschen mit Tieren als Erstes lernte, war: dass sie sie töteten. Sein Vater führte neben ihrem Wohnhaus einen Schlachtbetrieb. „Somit wurde es mir und meinem älteren Bruder in die Wiege gelegt, auch den Beruf des Metzgers zu erlernen“, erzählt er. Mit Ende 20 hatte Schalz als Personaldienstleister im Bereich der Schlachtung und Zerlegung die Verantwortung für 300 Mitarbeiter*innen. 17 Jahre lang war er in der Fleischindustrie tätig.

Simone und Thomas: Sie trägt einen blauen Pulli, auf dem „Vegan“ steht. Sie habe als Kind aufgehört, Fleisch zu essen, nachdem sie bei ihren Großeltern sah, wie Tiere für die Schlachtung abgeholt wurden. Simone ist auch Jahrgang 76 und in der Eifel geboren, 15 Kilometer von Thomas’ Dorf entfernt. Simone und Thomas gingen zur selben Schule. Hätte damals jemand gesagt, dass sie eines Tages heiraten, eine Tochter und so viele tierische „Schützlinge“ – wie sie sie nennen – bekommen würden, hätten sie gelacht. „Das alles war Zufall“, sagt Simone Schalz. Dennoch spielte Thomas Schalz’ Wandel dabei eine Rolle: „Hätte er nicht aufgehört, im Schlachthof zu arbeiten, wäre aus unserer Beziehung nichts geworden.“

Thomas: Seine Familie konnte ihn nicht verstehen, als er vor 10 Jahren seine Stelle in der Fleischindustrie aufgab. Er hatte schnell Karriere gemacht und erfüllte alle Voraussetzungen, um „ganz oben“ anzukommen. Doch er wollte nicht mehr. „Diese Arbeit hinterlässt physische und psychische Spuren“, sagt er. Als Schalz das Gefühl bekam, Teil „einer Maschinerie des Tötens“ zu sein, sagte er definitiv „basta“. Heute klärt er mit Insider-Blick und Fachwissen über Tierrechtsverstöße auf, bei Aktionen der Kampagne #IchBinDabei – Metzger gegen Tiermord“, die er 2019 mit zwei weiteren ehemaligen Metzgern initiierte.

Kunstobjekt des Gedenkens – die größte Herausforderung für das Ehepaar ist der Verlust ihrer Tiere Foto: Naima Erhart

Simone, Thomas und die Tiere: Im sozialen Netzwerk „Wer-kennt-wen“ habe Simone 2011 den Thomas aus ihrer Schule gefunden und ihm eine Freundschaftsanfrage geschickt. Beide waren zu der Zeit in langjährigen Beziehungen. Erst als sie sich davon trennten, kamen sie zusammen. 2013 heirateten sie, ein Jahr zuvor zog Simone in den Hof. Sie nahm ihre zwei Ponys und drei Katzen mit. Thomas hatte vier Katzen, einen Hund und ebenfalls zwei Ponys. Dann tauchten die ersten Meerschweinchen, Laborkaninchen und verwaiste Katzenbabys auf. Eine Freundin fragte, ob sie einen Ziegenbock wollten. Die Anzahl der Tiere wuchs immer weiter, bis heute. „Es war nie die Idee, es hat sich so ergeben“, sagt sie.

Routine: Der Tag im Hof beginnt sommers wie winters um 5 Uhr morgens. Die ersten Aufgaben drehen sich um die Tiere – das Futter vorbereiten, die Tiere füttern, ausmisten. Nach etwa 45 Minuten sind sie im Pferdestall fertig, dann sind die Schweine dran, die Ziegen werden ausgesperrt und dann die Esel. Noch eine Stunde dauert es. Es habe Tage gegeben, erzählt Thomas, an denen sie dachten, „nie wieder so eine harte Arbeit“. Doch dann wurde es Routine. Und sie finden immer wieder Freude daran. „Spätestens in Momenten wie diesen zahlen dir die Tiere jeden Cent zurück“, sagt er, während er im Stall herumläuft und ihm Pferde und Schafe folgen. Simone sagt, dass sich alle Tiere gut miteinander verstehen, „es ist wie eine WG“.

Gleichgesinnte finden: Um sich Hilfe mit dem Hof zu holen, gründeten sie 2014 einen Verein. 69 Mitglieder unterstützen sie mit Beiträgen oder Tierpatenschaften, ein Dutzend Freiwillige helfen einmal im Monat vor Ort, Sachspenden bekommen sie auch. Doch die Anfragen, ob Tiere aufgenommen werden können, steigen immer mehr und sie mussten einen Aufnahmestopp verhängen.

Nicht mehr die Jüngsten: Wenn alle Morgenaufgaben erledigt sind, fahren Thomas, Simone und Aurora zur Schule. Gegen 14 Uhr sind sie zurück und es geht mit der Arbeit im Stall und auf dem Feld weiter. Tage auf dem Bauernhof seien lang: Vor 20 Uhr haben Simone und Thomas selten Feierabend. „Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Auch wenn wir ausgehen könnten, würden wir dabei einschlafen“, sagt sie. Von gemeinsamen Urlauben können sie nur träumen: Der Hof dürfe nicht alleine bleiben.

Verlust: Nicht die harte physische Arbeit oder die fehlenden finanziellen Ressourcen sind für Thomas und Simone Schalz die größte Herausforderung, sondern der Verlust der Tiere. „Für uns sind sie Familienmitglieder“, sagt Simone „Wenn die Tiere in den Lebenshof kommen, ist nicht klar, wie lange sie noch zu leben haben“, meint Thomas. „Aber wir sind froh, dass wir ihnen bis zu ihrem Tod ein sicheres und liebevolles Zuhause bieten ­können.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!