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Archiv-Artikel

Der Geschmack der Freiheit

MAFIA Mit Pasta, Olivenöl und Wein aus biologischem und fairem Anbau zeigt das italienische Projekt „Libera Terra“: ein Leben ohne Mafia ist möglich

Die Mafia zerstört manchmal Felder, ihr Land bekommt sie aber nicht zurück

VON KRISTINA SIMONS

Mafia – da denken viele zuerst einmal an Don Corleone oder Tony Soprano. Selbst für Werbespots wird „Der Pate“ gerne herangezogen. Außerhalb Italiens sei der Blick auf die Verbrecherorganisation oft verklärt, beklagen Anti-Mafia-Organisationen. Dabei ist die Mafia heute – auch im Zuge der Globalisierung – mächtiger denn je. Sie steht nicht mehr nur für Mord, Korruption, Drogenhandel und Schmiergelderpressung, sondern ist zu einem weltweit agierenden Wirtschaftsunternehmen geworden. Sie hat auf deutschen Großbaustellen ihre Hände mit im Spiel und lagert Millionensummen auf deutschen Banken. Doch es gibt immer wieder mutige Menschen, die diesem scheinbar übermächtigen System etwas entgegensetzen. Einer von Ihnen ist der italienische Priester Luigi Ciotti.

Anfang der 90er Jahre stürzten die Mafiamorde an den Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, an Politikern, Polizisten, Journalisten und Geistlichen Italien in eine tiefe Krise. Vor diesem Hintergrund gründete Ciotti 1995 die Anti-Mafia-Bewegung „Libera“. Ciotti wollte gerade jungen und arbeitslosen Menschen eine langfristige wirtschaftliche Perspektive jenseits der organisierten Kriminalität bieten. Denn das System Mafia funktioniert auch deshalb so gut, da es den Menschen in so strukturschwachen Regionen wie Sizilien oder Apulien – anders als der Staat – Arbeit verschafft. Dem Libera-Netzwerk gehören heute rund 1.600 Initiativen an. Eine davon ist der Kooperativen-Verbund „Libera Terra“ (Freies Land), der den Bürgern zurückgeben will, was die Mafia ihnen genommen hat: Land.

Seit 2001 kümmert sich „Libera Terra“ um die Bewirtschaftung ehemaliger Mafialändereien und Gebäude. Möglich wurde das durch zwei Anti-Mafia-Gesetze: Das sogenannte La-Torre-Gesetz von 1982 wertet bereits die bloße Zugehörigkeit zur Mafia als Straftatbestand und ermöglicht es dem italienischen Staat, Personen bei begründetem Verdacht zu enteignen. Die konfiszierten Ländereien und Gebäude verwahrlosten jedoch mit der Zeit. Also sammelte Don Ciotti über eine Million Unterschriften für eine Petition, die 1996 in ein zweites Gesetz mündete: Die Gemeinden konnten nun die konfiszierten Güter zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Nutzung für gemeinwohlorientierte Zwecke überlassen.

Seitdem bauen die unter „Libera Terra“ zusammengeschlossenen Sozialkooperativen aus Sizilien, Apulien, Kalabrien, Kampanien und Lazio hier Wein, Getreide, Oliven, Obst und Gemüse an. Sie verpflichten sich, die ethischen, sozialen und qualitativen Kriterien von Libera einzuhalten, zum Beispiel keinerlei Kontakte zur Mafia zu haben, die (selbstverständlich sozialversicherten) Arbeiter fair zu behandeln und zu bezahlen, 30 Prozent Menschen mit Behinderung einzustellen, die Lebensmittel entsprechend der EU-Biorichtlinien anzubauen und zum Beispiel mit Sommercamps für Jugendliche die Botschaft „legal und mafiafrei“ auch nach außen zu tragen. Über 1.000 Arbeitsplätze hat der Kooperativenverbund bereits geschaffen, allein auf Sizilien bewirtschaftet er über 900 Hektar Land. „Und es liegen noch viele weitere Hektar brach“, weiß Martin Klupsch vom Fair-Handelszentrum Rheinland, das seit 2010 die Produkte von Libera Terra importiert und vertreibt. Aufgrund der italienischen Bürokratie könne es manchmal Jahre dauern, bis die Kooperativen es nutzen könnten.

In Italien finden sich Libera-Terra-Produkte ganz selbstverständlich in vielen Supermärkten und Weltläden. Pasta, Tomatensugo, Olivenöl, Marmelade, Wein und Likör tragen ihre Botschaft klar nach außen: „Le terre libere dalle Mafie“, also „von Mafia befreites Land“, steht groß auf jedem Etikett. „Libera Terra kennt hier jeder“, sagt Klupsch. Er selbst ist bei einem Italienbesuch darauf gestoßen, wurde neugierig und hat weiterrecherchiert. „Mit seinen Umwelt- und Sozialstandards erfüllt Libera Terra ganz klar die Kriterien des Fairen Handels. Das und der politische Hintergrund, der Kampf gehen die Mafia, hat uns dazu bewogen, Libera Terra auch in Deutschland bekannt zu machen.“ Das Fair-Handelszentrum hat etwa 40 mafiafreie Produkte im Sortiment. Sie stammen von „Libera Terra Mediterraneo“, einem Zusammenschluss von sieben Sozialkooperativen sowie einzelnen mit ihnen verbundenen Bauern. Vertrieben werden die Lebensmittel in rund 100 Welt- und Naturkostläden sowie über die Internetseite www.legalundlecker.de. Sie seien zwar teurer als das sonstige Weltladen-Sortiment, so Klupsch, aber auch von ausgezeichneter Qualität. Die Bioweine, viele vom sizilianischen Kooperativenverbund Centopassi, werden auch auf Wein-Blogs in den höchsten Tönen gelobt – und sind mit Preisen zwischen 9 und 20 Euro erschwinglich. „Die Kooperativen wissen, dass die gute Qualität Voraussetzung für ihren Erfolg in Italien ist“, sagt Klupsch. Jeder Wein ist übrigens einem bestimmten Mafiaopfer gewidmet. „Das unterstreicht noch die Botschaft, dass Leben und Wirtschaften ohne Mafia möglich sind.“ Auch wenn Cosa Nostra, Camorra und Co. das nicht immer einfach so hinnehmen, Felder zerstören oder über Nacht abernten. „Ihr Land bekommen sie dennoch nicht zurück.“

www.liberaterra.it/en/www.legalundlecker.de/