■ Der Gerechtigkeitsstreit um die Steuerreform beginnt. Danach wird der Staat weniger Geld umverteilen als zuvor: Was ist gerecht?
Marx und Engels glaubten an die Steuern. Im „Kommunistischen Manifest“ forderten sie eine „starke Progressivsteuer“ als eine von zehn Maßnahmen, mit denen die Arbeiter in der ersten Stufe der Revolution der „Bourgeoisie das Kapital entreißen“ und die Wirtschaft voranbringen würden.
Die Revolution kam anders, aber immerhin wurde im 19. Jahrhundert in Deutschland eine progressive Einkommensteuer eingeführt, und deren Spitzensteuersatz liegt heute bei 53 Prozent. Nicht mehr lange. Durch die geplante Steuerreform wird die Progression gekappt, alle Steuersätze gesenkt. Unabhängig von der Frage, wer davon im einzelnen profitiert, läßt sich eins mit Sicherheit sagen: Nach der Steuerreform wird der Staat weniger Geld zum Umverteilen haben als bisher.
Die Regierung kann darauf hoffen, daß dies Anklang findet. Paradoxerweise deshalb, weil die WählerInnen die Regierung zunehmend für unfähig halten, steuerliche Einnahmen sinnvoll und gerecht zu verwenden. Sie glauben nicht mehr an die politische Gestaltungsmacht. Deshalb behalten sie lieber ihr Geld selbst, als es einem unfähigen Staat zu überlassen. In Deutschland denke man noch so „altmodisch“, hatte der US-Ökonom Arthur Laffer unlängst angesichts der hohen Steuersätze geklagt. Die Deutschen wollten „die Welt mit Steuern gerechter machen. Das funktioniert nicht.“ Das glauben inzwischen auch viele Deutsche nicht mehr. Die Steuerreform läutet den Abschied ein von der politischen Idee, Einkommen umzuverteilen und die Einkommens- und Vermögensunterschiede abzumildern.
Weniger Steuerstaat für alle, niedrigere Steuersätze für jeden. Das hört sich gut an – und bedeutet, daß man den Reichen läßt, was sie angeblich „verdienen“. Sinkt der Spitzensteuersatz von 53 auf 39 Prozent, so spart ein Einkommensmillionär damit ein Viertel seiner bisherigen – rechnerischen – Steuerlast, während ein Durchschnittsverdiener schätzungsweise nur ein Zehntel seiner Steuern vom Staat erlassen bekommt.
Die Progression wird künftig schon bei 39 Prozent enden. Die progressive Einkommensbesteuerung, 1891 vom preußischen Finanzminister Johannes von Miquel eingeführt, war aber von Anfang an das entscheidende Umverteilungsmoment der deutschen Steuerpolitik. Zugrunde liegt der Gedanke vom „abnehmenden Grenznutzen“ und der „Gleichheit des Steueropfers“. Danach ist es einem Wohlhabenden eher zuzumuten, von seinem Einkommensteil über 120.000 Mark die Hälfte abzugeben, als einem Niedrigverdiener von seiner 30.000sten Mark an. Wer mehr verdient, muß nicht nur in der Summe, sondern auch vom prozentualen Steuersatz mehr bezahlen. Kürzere Progression bedeutet somit weniger Umverteilung nach unten. Die Mittelschicht wird kaum von der Reform profitieren, unter Umständen sogar draufzahlen.
An der Tatsache, daß sich der Staat aus der Umverteilung zurückzieht, ändert sich übrigens auch nichts durch die Einführung eines besonders niedrigen Eingangssteuersatzes für Miniverdiener. Der Steuersatz von 15 Prozent ist lobenswert, dient aber vor allem dazu, den Sturz von Niedrigverdienern in die öffentlich finanzierte Sozialhilfe zu verhindern.
Der Gedanke, mit Steuerpolitik die Einkommens- und Vermögensunterschiede zu mindern, tritt in den Hintergrund. So könnte die Regierung jetzt, da die Steuersätze auf Einkommen sinken, eigentlich einen verfassungsrechtlich konformen Entwurf für eine Vermögensteuer vorlegen. Ein solcher Entwurf wird aber nicht kommen, denn das politische Ziel ist weniger steuerliche Umverteilung.
Steuerpolitik ist weniger eine Frage des Geldes, sondern der Psychologie, hat Laffer angemerkt. Das bezeugt die Terminologie. „Entlastung“ ist das Zauberwort, das Mantra der Steuerreform. Das ist Steuermystik: Denn alles Geld, was in der Staatskasse fehlt, wird irgendwo wieder eingesammelt oder eingespart. Sei es durch eine höhere Mehrwertsteuer oder durch staatliche Ausgabenkürzungen. Eine wirkliche „Nettoentlastung“ kann es nicht geben. Nur ist es im Moment unpopulär, das zu sagen.
Weniger politische Steuerung durch weniger Steuern – dazu paßt durchaus, daß die steuerlichen Förderungen, also Abschreibungsmöglichkeiten, künftig eingeschränkt werden. Auch das war eine Umverteilung, allerdings nach oben. Finanzpolitiker argumentieren jetzt, es sei doch ein Fortschritt, wenn Hochverdiener künftig einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent auch wirklich zahlen, als wenn sie das zu versteuernde Einkommen beständig durch Abschreibungen drücken. Das stimmt zwar, dennoch behalten Freiberufler weiterhin erhebliche Möglichkeiten, Werbungs- und Anschaffungskosten steuerlich geltend zu machen. Normal verdienende Arbeitnehmer müssen die Kürzung der Arbeitnehmerpauschale, des Kilometergeldes und die Besteuerung von Nacht- und Sonntagszuschlägen dagegen einfach so hinnehmen.
Es hört sich gut an, wenn die Abschaffung von steuerlichen Vorteilen vor allem die Unternehmer treffen soll. Nur: Sie sparen ja auch am meisten durch die niedrigeren Steuersätze.
Wer im einzelnen von der Steuerreform profitiert und wer nicht, das wird in den nächsten Monaten zur Preisfrage im großen Steuerquiz werden. Dann, wenn die Lobbyisten auf die Regierung und aufeinander einschlagen, wenn über die Mehrwert- und Rentenbesteuerung und andere Details gestritten wird. Damit läßt sich zwar eine lärmende Gerechtigkeitsdebatte führen, dem höchst komplexen Steuergeschehen allerdings werden Vereinfachung und Überzeichnung von Einzelfällen eben nicht gerecht. Die Rollenspiele verraten die politische Regression: Mal erscheint die Regierung als gieriger Lehensherr, vor dem man seine Einkünfte am besten versteckt. Mal als Fürst, der Milliardengeschenke an die „eigene Klientel“ verteilt. Dann wieder als feige Truppe, die den „großen Wurf“ nicht wagt.
Tatsächlich hat die Bundesregierung weniger Verteilungsspielraum als jemals zuvor. Das zeigt die Debatte um die Besteuerung von Aktien- und Immobilienverkäufen. Aktienverkäufe könne man nicht besteuern, weil die Anleger sonst ins Ausland flöhen. Und Immobilienverkäufe nicht, weil man sonst wegen der Gleichbehandlung auch die Aktienverkäufe belasten müßte. In diesem Sinne ist die Steuerreform dann doch wieder eine Art Umverteilung. Obwohl sie vorgibt, gerade das nicht zu sein. Barbara Dribbusch
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