: Der Geistesblitz einer stoffwechselkranken Stubenfliege Von Ralf Sotscheck
Gesellschaftsspiele machen Spaß – wenn man nicht gerade die Frage nach dem Commonwealth-Cricket-Champion von 1927 beantworten muß, wie bei der englischen Version von Trivial Pursuit. Jetzt gibt es eine englische Variante von Monopoly. Das Spiel heißt Hypocrisy, was „Heuchelei“ oder „Scheinheiligkeit“ bedeutet. „Ein Spiel für zwei bis sechs Spieler, die Labour-Politiker werden wollen“, heißt es in der Anleitung.
Auf dem Spielbrett ist ein teuflisch grinsender Labour-Chef Tony Blair abgebildet, und auch die Spielfiguren sind dem wirklichen Leben nachempfunden: ein machtgeiler Gewerkschafter, ein bärtiger Umweltspinner, eine fette Feministin. Man ahnt, wer das Spiel herausgegeben hat: die Tories. Weil es für die Allgemeinheit jedoch zu flachsinnig ist, hat man nur eine kleine Anzahl für besonders fleißige Parteiarbeiter hergestellt. Offenbar hält man diese Leute für einfältig genug, an dem Spiel ihre helle Freude zu haben.
Ähnlich wie bei Monopoly rückt man um die gewürfelte Augenzahl auf Felder mit bestimmter Bedeutung vor. Es geht dabei aber nicht um Grundstücke und Geld, sondern um Punkte für Heuchelei und „political correctness“. Hat man mehr Heuchelpunkte als PC- Punkte eingesammelt und gerät auf eins der Eckfelder, wird man zum Oberheuchler ernannt und scheidet aus. Das geht ziemlich schnell, denn das Spiel soll ja der tumben Parteibasis eine Botschaft vermitteln. Landet man auf einem Heuchelfeld, muß man eine Heuchelkarte ziehen, zum Beispiel: „Sie erzählen uns, Labour will hart gegen das Verbrechen durchgreifen. Warum unterstützt Labour dann nicht die Maßnahmen der Konservativen gegen die Kriminalität? Zwei Heuchelpunkte!“
Die Idee für das Spiel ist auf dem Mist des Parteivorsitzenden Brian Mawhinney gewachsen, der für seinen pubertären Humor und die Geistesblitze einer stoffwechselkranken Stubenfliege bekannt ist. Vor einigen Monaten hatte er schon mal eine Idee, wie die Oppositionsparteien in die Knie zu zwingen sind: mit „baked beans“ – gebackenen Bohnen, dem britischen Leibgericht. Er ließ Dosenetiketten mit „Liberal Democrat Half Baked Beans“ – also liberaldemokratische halbgare Ware – und „Labour Has-Beans“ – etwa Labour-Gestrige – anfertigen. Dann stapelte er zwei Türme mit dem Blähgut auf, holte seine beiden Kabinettskollegen John Gummer und Michael Heseltine zu Hilfe und ließ sich mit ihnen zwischen den Blechbüchsentürmen fotografieren. Langsam wird klar, wo der Ausdruck „dumm wie Bohnenstroh“ herstammt. Die drei Bohnenhirne freuten sich jedenfalls wie Pennäler, die ihrer Lehrerin einen nassen Schwamm unter den Hintern geschoben hatten. In PR- Desastern ist Gummer ja Experte: Er hatte seiner dreijährigen Tochter Cordelia einen Hamburger in den Hals gestopft, um die Unbedenklichkeit britischen Rindfleisches zu beweisen.
Doch zurück zum Brettspiel. Das erste Exemplar von Hypocrisy hat Mawhinney seinem Premierminister zum Geburtstag geschenkt. Nun sitzt John Major jeden Freitag abend einsam würfelnd vor dem Kamin in der Downing Street, verriet der Butler. Major binde sich dann stets die Mundwinkel an den Ohren fest und fühle sich eine Viertelstunde lang wie Tony Blair.
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